Zwei Routiniers blicken unterschiedlich auf den Winter zurück
Der Salzburger fliegt seither im Dauerhoch, der Toggenburger fällt tiefer und tiefer.
Der Österreicher und der Schweizer zählen zu den wenigen Skispringern, die sich über ein Jahrzehnt lang in der Weltspitze halten konnten. Trotzdem flogen der 30-Jährige und der 42-Jährige nur kurz auf demselben Niveau. Denn die Vierschanzentournee zum Jahreswechsel 2015 bedeutete für beide den Wendepunkt in ihrer Karriere.
Kraft schaffte vor über neun Jahren im Rahmen jener Tournee zum Auftakt in Oberstdorf endlich den ersten von nunmehr 43 Weltcupsiegen. Der wie Ammann kleingewachsene Sportler verstand es seither immer, den verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden: Normalschanze, Grossschanze, Flugschanze - Kraft ist überall Weltklasse.
Abgesehen vom Olympiasieg als Einzelspringer hat Kraft alles erreicht, was es zu holen gibt: Dreimal wurde er Weltmeister, vergangenen Januar Skiflug-Weltmeister (den Weltrekord mit 253,5 m hält der Austria-Adler seit 2017), den goldenen Adler für den Sieg an der Vierschanzentournee nahm er ebenso in Empfang wie dreimal die grosse Kristallkugel für den Gesamtsieg im Weltcup, zuletzt vergangenen Sonntag in Planica. Mehr Siege in der Overall-Wertung schafften nur der 2019 verstorbene Finne Matti Nykänen und der Pole Adam Malysz mit je vier Triumphen.
Der fatale Sturz
Den Oldie Ammann hatte einst diese Anpassungsfähigkeit auch ausgezeichnet. Alle Veränderungen in seiner Sportart machte er mit: Neue Anzüge, Einführung des Body-Mass-Index, Entwicklungen bei den Ski und Bindungen. Aber während der Tournee vor neun Jahren kam der Bruch. Vom fürchterlichen Sturz beim Finale in Bischofshofen, wo er in der Ambulanz lag, während Kraft den Gesamtsieg feierte, erholte sich der Toggenburger als Spitzensportler nie mehr ganz.
Der vierfache Olympiasieger, Gesamt-Weltcupsieger, Weltmeister und Skiflug-Weltmeister kämpft seit der Genesung um den Anschluss. Er stellte die Landung vom linken auf das rechte Führbein um, oder er tüftelte mit karbonverstärkten Schuhen. Aber es ging in der Tendenz immer mehr abwärts. Zunächst war er kein Siegspringer mehr, dann flog er, gemessen am Ranking, aus den Top 20, dann aus den Top 30, die im Finaldurchgang starten und Weltcuppunkte erhalten. Für das Saisonfinale in Planica am vergangenen Wochenende hätte er mangels interner Konkurrenz noch einen Startplatz gehabt. Aber der ausser Form geratene Ammann verzichtete auf seine Lieblingsdisziplin Skifliegen.
Unterschiedliche Saisonvorbereitungen
Kraft und Ammann hatten die vergangene Saison völlig unterschiedlich vorbereitet. Der Österreicher wagte etwas Aussergewöhnliches. Er schaltete komplett ab und ging auf Reisen. Mit seiner Frau erkundete er sechs Wochen lang die Welt. «Bali, Sydney, Hawaii, Los Angeles und zum Schluss Paris - ein Traum», wie er sagte. Skispringen spielte in diesem Zeitraum keine Rolle für ihn. «Die Auszeit hat mir körperlich wie im Kopf gut getan», betonte der Sportler. «Mal aus dem Rad rausgehen nach zehn Jahren im Weltcup. Das hat eine richtig schöne Freiheit gegeben.»
Ammann hingegen meinte zu Saisonbeginn auf die Frage, ob es ihm um Leistungssport, Nostalgie oder um den Spass am Fliegen gehe: «Der Spitzensport ist noch ein Projekt.» Eines der zahlreichen Projekte, die der Familienvater meist erfolgreich unter einen Hut bringt: Neben den Teiljobs als Sportler und als Student der Betriebswirtschaft sitzt er im Verwaltungsrat der Toggenburger Bergbahnen, kümmert sich um ein sanierungsbedürftiges Hotel, tüftelt am Karbon-Schuh oder wirkt als Teilhaber in der Firma «Ammann Schmitt & Partner» mit, die auf Athletenmanagement, Sponsoring-Beratung, Rechtevermarktung und Testimonial-Werbung spezialisiert ist.
Die Wege trennen sich womöglich
Unter Umständen begegnen sich Kraft und Ammann nicht mehr in Skisprung-Anzügen gekleidet. Denn der Toggenburger, der letztmals während der Vierschanzentournee in Oberstdorf ein paar Weltcuppunkte gesammelt hat, ist derzeit nicht weltcuptauglich, insbesondere das Skifliegen ergibt in dieser Verfassung keinen Sinn mehr. Was dies für die kommende Saison in Sachen Kaderzugehörigkeit und Ambitionen im Spitzensport bedeutet, werden die nächsten Monate zeigen.