Zwei Jugendfreude wollen Geschichte schreiben
Noch vor den Viertelfinals sagte Frances Tiafoe einen viel sagenden Satz. «Warum nicht jetzt? Warum nicht wir?» Seit mehr als 15 Jahren wartet die erfolgreichste Tennisnation der Geschichte auf einen Grand-Slam-Finalisten bei den Männern. Andy Roddick war in Wimbledon 2009 der letzte amerikanische Finalist - und 2003 am US Open auch der letzte Sieger aus den USA.
Nun steht fest, dass es in New York zumindest wieder einen einheimischen Finalisten geben wird. Taylor Fritz, Nummer 12 der Welt, und der acht Positionen schlechter rangierte Frances Tiafoe stehen sich am Freitag im Halbfinal gegenüber. Nach der Niederlage von Daniil Medwedew gegen den Weltranglistenersten Jannik Sinner ist auch klar, dass es einen neuen US-Open-Champion geben wird.
Neues Blut im Mix
Michael Russell, der Coach von Taylor Fritz, bringt die neue Ausgangslage auf den Punkt. «Die grossen drei haben so lange dominiert, jetzt gibt es neues Blut im Mix.» Nichts illustriert dies so sehr wie die Misere des amerikanischen Tennis. Seit dem Titel von Andy Roddick vor 21 Jahren stand noch fünf Mal ein Amerikaner in einem Grand-Slam-Final: viermal Roddick und einmal Andre Agassi. Und alle fünf Male verloren sie gegen Roger Federer.
Fritz überstand dank seinem Sieg gegen Alexander Zverev im fünften Anlauf erstmals die Viertelfinals, doch er betont: «Der Job ist noch nicht erledigt.» Dass Landsleute wie Tommy Paul oder Tiafoe vor ihm die Halbfinals erreicht hatten, nahm der 26-jährige Kalifornier als Ansporn. «Ich freute mich wirklich für sie», erklärt er. «Aber es gab mir auch die Überzeugung, dass ich das genauso schaffen kann.»
Das grösste Spiel ihres Lebens
Auf den Halbfinal freuen sich jedenfalls Fritz und der gleichaltrige Tiafoe. «Das wird Popcorn-Kino», sagt der eine. «Das wird das grösste Spiel unseres Lebens», der andere. Die beiden haben einen sehr unterschiedlichen Weg genommen, kennen sich aber bestens und spielen seit ihrem 14. Altersjahr regelmässig gegeneinander.
Fritz ist in einer der feinsten Gegenden bei San Diego aufgewachsen, einer seiner Ur-Ur-Grossväter war der Gründer des Edel-Kaufhauses Macy's. Tiafoes Eltern wurden hingegen im vom Bürgerkrieg geplagten Sierra Leone geboren und kamen als Flüchtlinge nach Amerika. Als Arbeiter half der Vater beim Bau eines neuen Tenniscenters im Bundesstaat Maryland und schaffte es, seine Söhne gratis trainieren zu lassen. Das Talent von Frances Tiafoe war schnell augenscheinlich.
Diesmal nicht gegen Federer
Der kräftig gebaute, starke Aufschläger hat sich mittlerweile in den Top 20 etabliert, manche trauen ihm aber einen weiteren Schritt zu. Tiafoe stand schon vor zwei Jahren in Flushing Meadows im Halbfinal und unterlag in fünf dramatischen Sätzen dem nachmaligen Sieger Carlos Alcaraz. Diese Erfahrung könnte für Tiafoe sprechen, die Statistik für den drei Monate älteren Fritz. Er hat die letzten sechs Direktduelle seit 2016 für sich entschieden.
Die Zeit ist reif für den nächsten amerikanischen Finalisten - und diesmal wird der Gegner nicht Roger Federer heissen.