«Zusammen mit Roger zu kämpfen, verbindet fürs Leben»
Nach 2008 und 2012 kehrt Stan Wawrinka als dreifacher Grand-Slam-Sieger an Olympische Spiele zurück. In Gstaad, wo er sich auf das Turnier in Paris vorbereitet hat, sprach der 39-jährige Lausanner mit Keystone-SDA über seine Erinnerungen an vergangene Spiele.
Stan Wawrinka, viele Menschen erinnern sich noch an die Jubelszenen in Peking 2008, als sich Roger Federer an Ihnen wärmte, weil Sie derart «on fire» waren. Was sind Ihre Erinnerungen?
«Die olympischen Erinnerungen gehören zu den absolut schönsten meiner Karriere. Bei Olympia geht es nicht nur um das Tennis, es geht um den Sport im Allgemeinen. Man schaut sich auch andere Sportarten an. Das ist ein echtes Vergnügen.»
Was bedeutet Ihnen diese Goldmedaille?
«Das bleibt einer der grössten Titel meiner Karriere. Jeder Titel ist auf seine Art wichtig, aber eine Olympiamedaille geht, wie gesagt, über das Tennis hinaus. Da schauen nicht nur die Tennisfans zu, sondern alle Sportinteressierten. Also war dieser Sieg für mich super wichtig.»
Was hatte er für eine Bedeutung für Ihre weitere Karriere?
«Jede Erfahrung und jeder Sieg haben auf ihre Weise einen Einfluss. So früh in meiner Karriere einen solchen Sieg zu feiern, hat mir natürlich Selbstvertrauen gegeben. Diese Erinnerungen gemeinsam mit Roger (Federer) zu teilen, hat uns für den Rest unserer Karrieren, auch für den Davis Cup und andere Sachen, eine enge Beziehung gebracht.»
Es hat für eine spezielle Verbindung zwischen Ihnen und Federer gesorgt?
«Das sorgt natürlich für eine spezielle Verbindung, mit Seve (Severin Lüthi, ehemaliger Coach von Federer und Davis-Cup-Captain), natürlich mit Roger. Wenn man zehn Tage zusammen verbringt, für den anderen kämpft, verbindet das natürlich.»
2012 waren Sie Schweizer Fahnenträger.
«Das war eine riesige Ehre. Fahnenträger einer ganzen Delegation zu sein, mit so vielen Champions, ist ein unglaubliches Erlebnis.»
Als Marc Rosset 1992 in Barcelona Olympiasieger wurde, waren Sie sieben Jahre alt."
(Lacht) «Noch sehr jung.»
Haben Sie dennoch Erinnerungen daran?
«Nein, aus der Zeit nicht. Ich hatte da ja noch nicht mit dem Tennis begonnen. Das war erst mit acht Jahren. Später habe ich Bilder davon gesehen und auch mit Marc darüber gesprochen. Er hat mir viele Anekdoten davon erzählt. Es ist genial für ein Land wie die Schweiz, einen olympischen Champion wie Marc Rosset zu haben.»
Mit acht Jahren mit dem Tennis zu beginnen ist in der heutigen Zeit sehr spät. Sie wuchsen auf einem Bauernhof auf, Ihre Eltern kümmerten sich um benachteiligte Kinder. Das ist nicht unbedingt ein Umfeld, das für eine professionelle Sportkarriere prädestiniert erscheint. War das für Sie eher ein Vor- oder ein Nachteil?
«Das ist doch das Schöne am Tennis. Es gibt nicht einen idealen Weg. Jeder kreiert seinen eigenen Weg, jeder findet für sich heraus, was für ihn am besten passt. Es gibt verschiedene Techniken, verschiedene Coaches. Am Ende gibt es kein magisches Rezept, sonst würde es jeder so machen. Ich bin sehr glücklich mit meiner Jugend und wie ich aufgewachsen bin, wie ich mich charakterlich entwickelt, was ich im Tennis erreicht habe. Es ist viel mehr, als ich es mir vorstellen konnte.»
Hat es auch geholfen, mit den Füssen auf dem Boden zu bleiben?
«Ja, aber das ist doch bei allen so. Im Tennis sehen wir das auch bei Roger, Rafa (Nadal), Novak (Djokovic) oder jetzt bei Alcaraz oder Sinner. Das sind enorme Champions, mehr als ich es war oder bin, und sie bleiben neben dem Platz dennoch unglaublich menschlich.»
Welches ist denn Ihre stärkste olympische Erinnerung?
«Das ist die Woche in Peking. Die Zeit im Swiss House, im olympischen Dorf, an der Seite all der anderen Athleten und vor allem auch Coaches. Ich war noch sehr jung. Das war für mich eine riesige Chance, so viel Zeit mit diesen Menschen zu verbringen, mit ihnen zu diskutieren, Karten zu spielen, zusammen zu lachen.»
Die Spiele 2016 und 2021 haben Sie verpasst - auch, weil Sie dann so grosse Erfolge feierten?
«In einer so langen Karriere hat man natürlich nicht immer die gleichen Prioritäten. Gerade auch im Tennis muss man Entscheide treffen, die nicht immer einfach sind. Davis Cup, Olympische Spiele, Grand Slams, Masters 1000 - man kann nicht alles spielen, wenn man ganz nach oben kommen will. Es war kompliziert, und ich hätte die Erfahrungen in Brasilien und Tokio gerne gemacht. Aber ich bereue keinen meiner Entscheide.»
Ohne den Verzicht auf die Spiele in Rio hätten Sie vielleicht gleich darauf das US Open nicht gewonnen.
«Voilà. Aber das kann man nie wissen.»
Spielt es eine Rolle, dass die Spiele dieses Jahr in Paris stattfinden?
«Natürlich. Tennis wird in Roland Garros gespielt, auf Sand. Das macht es auch vom Kalender her einfacher.»
Werden Sie wieder eine spezielle Hose tragen wie beim Sieg am French Open 2015?
(Lacht) «Bei den Olympischen Spielen sind es die Farben der Schweiz, da hat man keine Wahl. Meines Wissens muss das Shirt entweder Rot sein oder mit dem Namen des Landes hinten drauf.»
Mit welchen Ambitionen treten Sie in Paris an, nach einem bis jetzt schwierigen Jahr?
«Ich habe einfach Lust, mein Maximum zu geben. Ich möchte von dieser olympischen Erfahrung so viel wie möglich profitieren, da es wahrscheinlich meine letzten Spiele sind. Die Ambition ist also, mir keine Limiten zu setzen und das Bestmögliche herauszuholen.»
Die wahrscheinlich letzten Spiele? 2028 ist also nicht ausgeschlossen?
(Lacht laut) «Das ist viel zu weit weg, um daran zu denken.»
Aber die Motivation ist offensichtlich noch da.
«Ich hoffe, wieder ein Ranking (aktuell 109) zu erreichen, das eher meinen Vorstellungen entspricht. Aber natürlich, dieses Leben auf der Tennistour gefällt mir sehr. Vor fünf Jahren hätte ich nie gedacht, jetzt noch hier zu sein. Aber die Passion ist noch immer da. Tennisprofi zu sein ist mein Glück, mein Traum, seit ich jung war. Also möchte ich möglichst lange davon profitieren.»
Haben Sie eine Idee, was Sie geworden wären, wenn nicht Tennisprofi?
«Nein. Ich hatte das Glück, schon früh aufs Tennis setzen zu können.»
Was war denn mit sieben Jahren Ihr Traumberuf?
«Es ging mir sehr gut auf unserem Bauernhof. Ich arbeitete mit meinem Vater, wenn ich konnte. Weiter habe ich da noch nicht wirklich gedacht.»