YB sucht das alte Selbstverständnis
Natürlich ist es für einen Schweizer Klub keine Schande, auswärts beim FC Barcelona zu verlieren - auch nicht in dieser Höhe. Zu gross sind die Unterschiede in den finanziellen Möglichkeiten der Vereine und in der Qualität der Kader. Dass bei den Bernern nach dem Spiel im Olympiastadion dennoch eine gewisse Enttäuschung herrschte, lag am Auftritt der Mannschaft, die wie so oft in den letzten Wochen verunsichert wirkte.
Wie Aston Villa musste sich auch Barcelona nicht sonderlich anstrengen, um gegen den Schweizer Meister zum Erfolg zu kommen. Gegen die Engländer nahmen sich die Young Boys durch Eigenfehler selbst aus dem Spiel, gegen die Spanier waren sie in allen Belangen unterlegen. Sie seien zu zögerlich in die Zweikämpfe gegangen und hätten zu viele Bälle einfach verloren, sagte Jaouen Hadjam nach dem Spiel. Sein Abwehrkollege Lewin Blum meinte derweil fast unterwürfig: «Es war unglaublich, dieses dominante Passspiel von Barcelona auf dem Platz zu sehen. Es war nicht immer schön, wir mussten viel hinterherlaufen. Aber es zeigt uns, wo wir noch arbeiten müssen.»
«Haben uns den Saisonstart anders vorgestellt»
Wenig war vom Selbstverständnis zu spüren, dass sich YB in den letzten Jahren auch international aufgebaut hatte. 2021 setzten sich die Berner im Sechzehntelfinal der Europa League gegen Bayer Leverkusen durch, in der darauffolgenden Champions-League-Kampagne gab es einen Heimsieg gegen Manchester United und ein Unentschieden auswärts. Auch im letzten Jahr, als es in den Duellen mit Manchester City und RB Leipzig insgesamt vier Niederlagen absetzte, konnten die Spieler erhobenen Hauptes den Platz verlassen. Denn wer gegen YB gewinnen wollte, musste sich den Sieg hart erarbeiten.
Dies kann aktuell nicht behauptet werden. «Das Selbstvertrauen ist im Moment sicher nicht das beste», bestätigte Blum. Der Grund ist klar: YB kommt in der Meisterschaft nicht vom Fleck, musste nach dem ersten Saisonsieg gegen Winterthur am vergangenen Wochenende mit der 0:1-Heimniederlage gegen GC prompt den nächsten Rückschlag hinnehmen. In acht Runden haben die Berner nur sechs Punkte geholt: Es ist ihr schwächster Meisterschaftsstart in der Ära der Super League (seit 2003). «Wir haben uns den Saisonstart ganz klar anders vorgestellt», so Blum.
«Wissen, in welcher Situation wir sind»
Die grosse Herausforderung besteht nun darin, das alte Selbstvertrauen wieder zu finden, mit dem YB in den letzten Jahren die Siege manchmal auch erzwingen konnte. Aber wie? Für Blum ist klar: «Zurück zu den Basics. Wir müssen wieder als Team auftreten, Vollgas geben, den Gegner mit hoher Intensität unter Druck setzen.» Hadjam sprach derweil davon, positiv zu bleiben und im Training weiter hart zu arbeiten. Es sind alles andere als bahnbrechende Rezepte, die auch ein wenig die derzeitige Ideenlosigkeit auf dem Platz widerspiegeln.
Jedoch wären jetzt dringend wirksame Massnahmen gefragt, denn das Fussballgeschäft ist bekanntlich ungeduldig. Mit jeder Niederlage steigt der Druck auf die Mannschaft und vor allem auf Trainer Patrick Rahmen. «Wir wissen, in welcher Situation wir sind. Aber ich spüre auch, dass jeder so schnell wie möglich da raus will», sagte Blum.
Die nächste Chance dazu bietet sich am Sonntag. Dann kommt es zum Meisterschaftsklassiker gegen den FC Basel, der sich derzeit ebenfalls in einer Baisse befindet. Kurz vor der Nationalmannschaftspause brauchen beide Teams - und vor allem beide Trainer - ein Erfolgserlebnis.