Wie Roger Stilz den FC St. Gallen in die Zukunft führen will
Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht der 46-jährige Stilz über seine Rückkehr in die Heimat, darüber, wie er seine zahlreichen Erfahrungen im Ausland bei seinem ersten Engagement als Funktionär in der Schweiz einbringen will, sowie seine grosse Affinität zu Sprache und Literatur. Und der frühere Co-Trainer des HSV erklärt, warum er die attraktive Spielweise des FCSG mag.
Roger Stilz, Sie sind jetzt seit zwei Monaten im Amt. Wie fühlen Sie sich als Sportchef des FC St. Gallen?
«Ich fühle mich wohl, sowohl mit der Aufgabe als auch mit der Atmosphäre. Ich kann mich selbst sein. Authentizität ist meines Erachtens wichtig für eine Führungskraft, und der FC St. Gallen gibt mir den Raum und das Vertrauen, dass ich authentisch sein kann.»
Wie sieht Ihr Aufgabenbereich konkret aus?
«Ich habe zwei Aufgaben. Die erste ist der normale Alltag als Sportchef. Also die Leitung der Bereiche wie Scouting, Athletik, Medizin, aber auch die Gespräche und Entscheidungen in Richtung der Spieler, des Trainerstaffs sowie Transfers. Zudem habe ich vom Verwaltungsrat den Auftrag bekommen, mir Gedanken zu machen über die Sportstrategie beziehungsweise über den Weg des FC St. Gallen in den nächsten Monaten und Jahren.»
Haben Sie bei diesem längerfristigen Auftrag bereits Erkenntnisse gewonnen? Eine Idee vom Verwaltungsrat, die bei Ihrer Vorstellung erwähnt wurde, war, dass die sportliche Führung im Verein auf mehrere Schultern verteilt werden soll.
«Da muss ich Sie leider enttäuschen. Meine Erkenntnisse bespreche ich zuerst intern, aber ich komme gut voran, und wenn es etwas zur sportlichen Strategie zu kommunizieren gibt, werden wir es bekanntgeben. Aber natürlich geht es bei diesem Teil meiner Arbeit um strukturelle, inhaltliche, aber auch personelle Themen.»
Was reizt Sie an Ihrem Job besonders?
«Die Hauptaufgabe von mir als Führungsperson liegt in den zwei Polen Alltag und Strategie. Das ist ein Spannungsfeld, die grosse Herausforderung, aber auch das Spannende an diesem Job: Zum einen die Kurzfristigkeit und die schnellen Bedarfe eines Vereins abzudecken und zum anderen den Blick für das grosse Ganze und die Zukunft im Auge zu behalten.»
Während Ihrer Trainerausbildung haben Sie mal bei Peter Zeidler in Salzburg hospitiert. Hat Ihnen diese Erfahrung den Einstieg in St. Gallen erleichtert?
«Es ist auf jeden Fall kein Nachteil, dass wir uns schon 2015 getroffen haben. Peter und ich lernen uns gerade wieder neu kennen. Wir beide sind seither gewachsen, haben unsere Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten und Positionen gemacht, und damals beim Praktikum in Salzburg war die Konstellation ja eine ganz andere als heute. Aber der Kontakt ist nie abgebrochen. Es ist schön, dass wir uns in St. Gallen wiedersehen und zusammen eine neue Geschichte schreiben können.»
Sie haben viele Erfahrungen als Spielertrainer, Co-Trainer, Sportchef und als Leiter einer Nachwuchsabteilung gemacht. Lange in Hamburg, aber auch in Nürnberg, Regensburg und Belgien. Was aus Ihrem Rucksack hilft Ihnen für die Aufgaben in St. Gallen?
«Ich glaube, heute ist es wichtiger denn je, dass du Protagonisten hast in der Führungsriege eines Fussballvereins, die nicht zu eindimensional unterwegs sind. Klar brauchen wir Spezialisten, aber ich glaube, es ist ein Vorteil für eine Führungskraft, wenn sie sich die Erfahrungen und Kompetenzen auf breiterer Basis angeeignet hat. Ich bin der Überzeugung, dass ein breiter Blick und das Arbeiten auf diversen Ebenen und in verschiedenen Bereichen eben auch andere Perspektiven ergeben. Mich hat Eindimensionalität immer gelangweilt, und ich war immer auf der Suche, neue Sachen zu sehen, und diese Neugierde ist bis heute nicht kleiner geworden.»
Wie 2004, als Sie nach Hamburg aufbrachen, um Germanistik und Geschichte zu studieren und nebenbei Fussball zu spielen. Bleibt als Sportchef überhaupt Zeit, sich zweien Ihrer Leidenschaften aus dieser Zeit zu widmen, der Literatur und dem Schreiben?
«Nein, das wäre gelogen. Ich lese aktuell kaum Bücher. Alles hat seine Zeit. Aber ich habe natürlich im vergangenen Jahr dafür Musse gehabt. Alles gelesen von Peter Stamm und Robert Seethaler, zum Beispiel. So habe ich den Hunger wieder etwas gestillt. Aber jetzt sind andere Themen wichtiger.»
Und wie sieht es mit dem Schreiben aus?
«Ich glaube, dass es ein Vorteil ist für so eine Position, wenn man Gedanken niederschreiben kann, und dabei geht es nicht nur um meine Gedanken, sondern um Gedanken aus dem Team. Wir haben fähige und kompetente Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ich trage gerne Dinge zusammen, um eine gute Entscheidungsgrundlage zu haben. Und ich bin von einer Sache überzeugt: Wenn man Dinge niederschreibt, dann werden sie konkreter.»
Können Sie Ihre Affinität zu Sprache auch sonst nutzen?
«Ich bin überzeugt, dass das prägnante Wort wichtig ist und Klarheit schafft. Klarheit für viele Köpfe in einem Verein. Ich glaube, es ist elementar, dass wir uns im Team darüber unterhalten, wie wir über Fussball sprechen. Wie sprechen wir über Spieler? Wie benennen wir unsere Scouting-Kriterien? Was sind bei uns Coaching-Sätze? Wie ist unser Wording? Gibt es drei übergeordnete Themen, wie wir unsere Kultur beschreiben können? Das ist auch Teil meines Arbeitsalltags, bei dem ich Freude habe, mit dem Team zusammen über solche Dinge nachzudenken. Aber das passiert nie von heute auf morgen.»
Wie fliessen Ihre vielseitigen Erfahrungen in Ihre Art der Führung ein?
«Mein Führungsverständnis ist von gerader, direkter Kommunikation geprägt. Am Anfang geht es darum, uns kennenzulernen. Das funktioniert eher mit mehr denn weniger reden. Und zwar direkt, realitätsnah und ohne Hintergedanken. Mir geht es darum, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind und auch Weiterentwicklungen aufzuzeigen. Das ist mir ein grosses Anliegen, aber es ist unbestritten auch aufwändig. Ich sehe mich als Rahmenvorgeber, einer, der bestmögliche Rahmen schafft, damit wir erfolgreich sein können.»
Apropos Erfolg. Seit Sie da sind, ist beim FCSG auf dem Feld noch nicht alles geglückt. Von sieben Spielen wurden nur zwei gewonnen. Auswärts hatte der Verein schon in der Vorrunde Mühe, nun ging auch die eindrückliche Serie zuhause nach saisonübergreifend elf Siegen zu Ende.
«Ich denke nicht in Serien. Mein Denken muss ein anderes sein. Nämlich die Leistung zu beurteilen, wie die Spiele verlaufen, wie die Trainingswoche ist. Das ist mein Job. Mein Job liegt im Übergeordneten, und logischerweise gibt es Phasen in einer Saison. Aber ich kann nichts anfangen mit Heimserien oder Auswärtsserien. Mit den Leistungen in den letzten Wochen war ich meistens zufrieden, auch wenn wir punktemässig nicht abgeräumt haben.»
Das Umfeld in St. Gallen gilt als extrem begeisterungsfähig, und die Fans stehen eben auch in sportlich weniger erfolgreichen Phasen hinter dem Verein. Wie erleben Sie das?
«Ich weiss, dass der FCSG ganz vielen Leuten in dieser Region richtig etwas bedeutet. Das bringt eine gewisse Verantwortung mit sich. Ich kann versprechen, dass wir weiterhin attraktiv spielen wollen. Ich wäre auch nicht traurig, wenn es einmal ein bisschen weniger dramatisch wäre (lacht). Aber wir wollen einfach auch, dass etwas los ist. Der Fussball, insbesondere im Kybunpark, hat auch den Auftrag zur Unterhaltung. Das klingt vielleicht romantisch, ist es aber nicht. Ich bin überzeugt, dass man mit attraktivem Fussball auch erfolgreich sein kann.»
Wie ein begeisterungsfähiges Umfeld aussieht, erlebten Sie auch in Hamburg. Fiel es Ihnen eigentlich schwer, nach 20 Jahren im Ausland Ihren Lebensmittelpunkt wieder in die Schweiz zu verlegen?
«Nicht wirklich. Dafür waren die Aufgabe, die mir der FC St. Gallen angeboten hat und das Setting einfach viel zu attraktiv. Es ist mir wichtig zu betonen, dass für mich zwei Dinge relevant waren für einen nächsten Job: ein gutes Gefühl mit den Verantwortungsträgern, das Vorfinden eines ähnlichen Wertegerüsts. Und die Möglichkeit, meine Qualitäten einbringen und Strukturen entwickeln zu können. Beide Dinge sind meines Erachtens beim FC St. Gallen vollauf gegeben. Dass ich auch noch in meine Heimat zurückkehren darf, war dann die Kirsche auf der Torte.»
Und wie ist es, zurück in St. Gallen zu sein?
«Es ist ein schönes Heimkommen. Ich war lange weg aus der Ostschweiz, aber jetzt gibt es unglaubliche Begegnungen. Mit meinem Primarschullehrer auf dem Gang nach dem Spiel gegen Lausanne-Ouchy am letzten Samstag, oder mit Schulkollegen. Das sind schöne, emotionale Momente.»