Stefan Küng beschreitet an der Vuelta neue Wege
Wenn Radprofis sich in den Wintermonaten auf die neue Saison vorbereiten, gehört auch die minutiöse Planung der Renneinsätze dazu. Eigene Interessen werden mit jenen des Teams abgewogen und Eckpfeiler gesetzt, so dass entsprechend Erholungsphasen und Trainingsblöcke eingebaut werden können. So weit, so gut.
Verletzungen durch Stürze oder Krankheiten unter dem Jahr können jedoch schnell dazu führen, dass eine Planung über den Haufen geworfen werden muss. Komplett revidiert hat Stefan Küng seinen Rennkalender zwar nicht, trotzdem haben ihn die gesundheitlichen Probleme, die ihn über die letzten gut zweieinhalb Monate begleitet haben, zum Nachdenken angeregt. Und der Thurgauer kam zum Schluss, mit 30 Jahren neue Wege beschreiten zu wollen. «Ich ging mit der Idee, an der Vuelta teilzunehmen, auf das Team zu und wir haben uns ziemlich schnell gefunden», erklärt er im Gespräch mit Keystone-SDA.
Alternativen wären wie in anderen Jahren eine Teilnahme an der Benelux-Rundfahrt, der Bretagne Classic und der EM gewesen. Doch Küng spürte das Bedürfnis nach einer Veränderung, auch wenn er zur Spanien-Rundfahrt keinen besonderen Bezug hat. «Ich bin ehrlich, die Vuelta hat mich von den grossen Rundfahrten am wenigsten gereizt.»
Kein Vorbereitungsrennen
Elf Grands Tours hat Küng bereits in den Beinen. An der Tour de France gehört er zu den Dauergästen, auch am Giro d'Italia nahm er schon drei Mal teil. Nun beschreitet er an der Vuelta also Neuland.
Der Plan ist klar: Sich in Spanien in Form zu bringen, um für die WM in Zürich in der letzten September-Woche optimal gerüstet zu sein, oder? Küng verneint. «Ich bin in guter Form.» Es sei auch nicht geplant, vorzeitig aus der dreiwöchigen Rundfahrt auszusteigen. «Ich möchte etwas Neues entdecken, mit der Absicht, zu reüssieren.»
Das erklärte Ziel ist ein Etappensieg. Dafür bietet sich dem Zeitfahrspezialisten gleich zu Beginn eine gute Gelegenheit. Die 79. Ausgabe der Vuelta a España beginnt am Samstag in Lissabon nämlich mit einem 12 km langen Kampf gegen die Uhr. Der Parcours ist technisch wenig anspruchsvoll, dafür Küngs Absicht klar: «Das Ziel ist der Sieg, auch wenn die Konkurrenz stark ist.»
Mit dem Belgier Wout van Aert, dem Briten Joshua Tarling, dem Amerikaner Brandon McNulty und dem Portugiesen Nelson Oliveira stehen vier Spezialisten am Start, die das olympische Zeitfahren in Paris schneller absolviert haben als Küng, der Achter wurde.
Cancellara letzter Schweizer in Rot
Sollte er der erst dritte Schweizer nach Alex Zülle (2000) und Fabian Cancellara (2009) in diesem Jahrtausend werden, der sich in das rote Leadertrikot der Vuelta einkleiden lässt, wäre das jedenfalls als grosser Coup zu werten.
Mauro Schmid, der zweite Schweizer Starter, hat Küng schon etwas voraus. Der sechs Jahre jüngere Zürcher nimmt nach zwei Giro-Teilnahmen die Vuelta zwar auch zum ersten Mal in Angriff, er hat jedoch schon einen Sieg an einer Grand Tour vorzuweisen. Als Neoprofi triumphierte Schmid 2021 in der 11. Giro-Etappe zum ersten Mal bei den Grossen.
«Kann mir nichts vorwerfen»
Für einen solchen Exploit muss alles zusammenpassen, das weiss Küng nach den komplizierten letzten Wochen nur zu gut. Angefangen hat alles mit einer Bronchitis im Vorfeld der Tour de Suisse, zuletzt plagten ihn auch noch Magenprobleme. «Der Sommer ist sicher anders gelaufen, als geplant. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich nicht mein ganzes Leistungsvermögen abrufen konnte.»
Statt mit einer Medaille musste sich der Ostschweizer an den Olympischen Spielen in Paris mit zwei Diplom-Rängen begnügen. «Ich kann mir nichts vorwerfen. Ich habe stets gesagt, ich will am Tag X mein Maximum abrufen. Mehr war unter den gegebenen Umständen nicht möglich.»
Doch nun scheinen die gesundheitlichen Probleme endlich überwunden. «Mir geht es so gut wie schon lange nicht mehr», freut sich der Schweizer Zeitfahr-Meister drei Tage vor dem Start der Vuelta. Der Spätsommer und Herbst wird zeigen, zu was ein gesunder Stefan Küng noch alles zu leisten im Stande ist.