Michelle Gisin und ihr Lieblingshang am Schlossberg
Michelle Gisin verneigt sich im Ziel in Lienz. Vor Mikaela Shiffrin, ein wenig aber auch vor sich selbst. Während die beste Skifahrerin der Geschichte soeben die Ziellinie überquert hat und auf der Anzeigetafel die Zahl 2,34 aus dem leuchtenden Grün ins Auge sticht, feiert Gisin ihren dritten Podestplatz in Lienz. Bereits 2019 und 2021 stand sie in Osttirol, wo alle zwei Jahre Rennen gefahren werden, als Dritte auf dem Treppchen. Nun wiederholte sie diesen Coup.
«Man kann schon sagen, dass das mittlerweile mein Lieblingshang ist», sagte Gisin nach dem Rennen im Interview mit SRF. Angesprochen auf ihr Erfolgsgeheimnis am Schlossberg entgegnete sie: «Ich weiss nicht, wie es möglich ist.» Damit meinte sie vor allem die Erkenntnis, dass es auf den kurzen Ski sehr viel besser läuft, seit sie diese ein wenig in die Ecke gestellt und ihren Fokus auf die Speed-Disziplinen gelegt hat.
Drei Ausrufezeichen
In Levi noch mit den Rängen 21 und 15 hinter den eigenen Erwartungen, wusste sie bereits bei den Slaloms in Killington und Courchevel mit je einem 6. Platz zu überzeugen. Nun folgte mit Rang 3 in Lienz ein Coup, auf den Gisin die komplette letzte Saison vergeblich gewartet hatte.
«Klar, die Erwartungen sind schon tiefer, da ich weniger Slalom trainiere», sagte sie. Vor dem zweiten Lauf sei sie dennoch sehr nervös gewesen. «Die Kurssetzung kam mir entgegen. Nach dem Fehler oben wusste ich: Jetzt wird es eng. Umso schöner, dass es aufgegangen ist.»
Aufgegangen ist es in Lienz auch für Lena Dürr. Sie rehabilitierte sich für den Ausfall zuletzt in Courchevel und stiess im zweiten Lauf von Rang 5 auf Platz 2 hervor. Es war bereits ihr dritter Podestplatz in diesem Winter. Die 32-jährige Deutsche unterstrich damit ihren Status als Topfahrerin. Neben der momentan verletzten Wendy Holdener war sie die einzige, die in den letzten Jahren mit den Dominatorinnen Mikaela Shiffrin und Petra Vlhova zumindest einigermassen mithalten konnte.
Eine Machtdemonstration
Während die Slowakin am Freitag nicht über Rang 5 hinauskam, war gegen Shiffrin einmal mehr kein Kraut gewachsen. Die 28-jährige Amerikanerin fuhr in einer eigenen Liga und stellte ihre herausragende Form eindrücklich unter Beweis. Sie stellte zwei Mal Laufbestzeit auf und deklassierte die Konkurrenz um 2,34 Sekunden und mehr. Es ist nicht das erste Mal, dass sie ein Rennen mit solch grossem Vorsprung gewinnt. Bereits drei Mal hatte die «Slalom-Queen» im Ziel ein noch grösseres Polster. 2015 in Aspen etwa legte sie mehr als drei Sekunden zwischen sich und die «Konkurrenz».
Anders als noch am Tag zuvor, als ihr Vorsprung im zweiten Durchgang des Riesenslaloms kontinuierlich schmolz, legte sie in ihrer Paradedisziplin nochmals eine Schippe drauf. Für Shiffrin war es der 93. Weltcupsieg ihrer Karriere, der 56. im Slalom und bereits der fünfte in dieser Saison.
Dass sich im Zielraum in Lienz am Ende nicht nur Gisin vor Shiffrin verneigte, sondern auch die Amerikanerin eine leichte Verbeugung andeutete, kommt einem Ritterschlag für die Engelbergerin gleich.