Die Glatze des Fitnesstrainers als Glücksbringer
Auf dem Platz kennt Aryna Sabalenka keine Gnade. Wie der Tiger, den sie als Tattoo auf einem Arm und einem Oberschenkel trägt, verschlingt sie ihre Gegnerinnen regelrecht. Ihre Intensität in jedem Punkt wirkt einschüchternd. Sobald eine Partie zu Ende ist, zeigt die 25-jährige Belarussin aber ihr anderes, freundliches und humorvolles Gesicht.
Leiden muss ihr Umfeld dennoch ab und zu. An vorderster Front tat dies in Melbourne Sabalenkas Fitnesscoach Jason Stacy. Vor der ersten Partie hatte die Spielerin die spontane Idee, dem Glatzkopf ein Autogramm auf den Kopf zu kritzeln. Sie ging raus, fegte die bedauernswerte Qualifikantin Ella Seidel 6:0, 6:1 vom Platz, und ein Ritual war geboren. «Wir lieben es, verrückten Scheiss zu machen», erzählte Sabalenka in ihrer Siegesrede nach dem 6:3, 6:2 gewonnenen Final am Samstag gegen die Chinesin Zheng Qinwen.
Zwei unterschiedliche Personen
«Ich bin auf und neben dem Platz zwei völlig unterschiedliche Personen», verriet die Minskerin. «Und das ist gut so, denn wenn ich daneben so wäre wie in meinen Matches, würde niemand mit mir arbeiten wollen, und ich wäre sehr einsam.» Stacy sei übrigens nicht wahnsinnig begeistert gewesen vom Ritual. «Doch er nimmts sportlich», fügte sie lachend hinzu.
Er dürfte noch eine Weile damit leben müssen, denn ein Ende der Siegserie Sabalenkas ist nicht abzusehen. Zu überlegen agierte sie in den letzten zwei Wochen. In sieben Spielen stand sie kaum acht Stunden auf dem Platz und gab ganze 31 Games - rund viereinhalb pro Satz - ab. Mit dem Gewinnen kommt logischerweise der Appetit, nicht, dass die Tigerin noch mehr davon gebraucht hätte. «Ich wollte nicht eine dieser Spielerinnen sein, die einmal gewinnen und dann wieder verschwinden», betonte sie.
Das war sie aber schon vor diesem zweiten Triumph in Melbourne nicht. Sabalenka stand bei den letzten sechs Grand-Slam-Turnieren - und zwei WTA Finals - immer mindestens im Halbfinal. Was fehlte, war der letzte Schritt, auch weil sie sich zu sehr unter Druck setzte. Alle Niederlagen in den Halbfinals und dem Final am US Open kamen in drei engen Sätzen. «Aber jetzt bin ich älter - oder sagen wir besser erfahrener», meinte sie mit einem Lächeln.
Balance gefunden
Nun scheint sie die richtige Balance gefunden zu haben. «Ich habe noch so viele Ziele. Wenn wir so weiterarbeiten, bin ich überzeugt, dass ich auch auf Sand und Rasen gleiches erreichen kann», warnt sie ihre Gegnerinnen. In Melbourne blieben von Seidel in der 1. Runde bis Zheng im Final alle chancenlos. Einzig Coco Gauff konnte in der Revanche für den US-Open-Final mit 7:6, 6:4 einigermassen mithalten.
Es könnte ein in den finalen Spielen der grossen Turniere wiederkehrendes Duell in diesem Jahr sein. Eine Eintagesfliege ist Aryna Sabalenka spätestens seit Samstag definitiv nicht mehr.