Der eine improvisiert, der andere baut um, die dritten fremdeln
Die puren Fakten hören sich für die Young Boys ausgezeichnet an. Die Berner führen die Tabelle der Super League nach 18 Runden mit fünf Punkten Vorsprung an. Sie stehen in den Cup-Viertelfinals und haben bei ihrer dritten Teilnahme in der Champions League erstmals ein Team hinter sich lassen können, sodass ihre Europacup-Saison im Februar in den Sechzehntelfinals der Europa League gegen Sporting Lissabon weitergehen wird.
Viele Abwesende in Bern
Dennoch gibt es bei YB potenzielle Unruheherde, die das notorisch ruhige Umfeld vor Herausforderungen stellen und die sportliche Maschinerie aus dem Gleichgewicht bringen könnten. Da ist einerseits die nach wie vor hängige Vertragsverlängerung mit Trainer Raphael Wicky. Der Walliser hat mit Ausnahme der Europacup-Gruppenphase im Vorjahr bisher alle Ziele erreicht, seit er im Sommer 2022 in der Hauptstadt angekommen ist. Und gerade in den entscheidenden Partien wie den Champions-League-Playoffs gegen Maccabi Haifa und den Gruppenspielen gegen Roter Stern Belgrad hat seine Mannschaft geliefert und dem Verein damit Millionengewinne eingebracht.
Die Vertragssituation des 46-Jährigen wird in Bern seit Monaten diskutiert, wobei sowohl Wicky als auch sein direkter Vorgesetzter Steve von Bergen die Lage demonstrativ entspannt sehen und trotz auslaufendem Arbeitspapier keine Eile verspüren.
Dann sind da die unzufriedenen Spieler wie Topskorer Jean-Pierre Nsame, der sich öffentlich über seine Einsatzzeit beschwerte und Aurèle Amenda, der mit einem Wechsel zu Eintracht Frankfurt liebäugelt. Mit Mohamed Ali Camara, Saidy Janko, Ebrima Colley, Miguel Chaiwa und Meschack Elia fehlen den Bernern zu Beginn zudem gleich fünf Spieler, die mit ihren Nationalteams am Afrika-Cup im Einsatz sind. Es wird interessant sein zu verfolgen, wie YB mit diesen Situationen umgeht. Wicky wird improvisieren müssen. Jedenfalls scheinen die Berner anfälliger, in dieser frühen Phase nach dem Neustart Punkte liegenzulassen, als wenn sie dann wieder aus dem Vollen schöpfen können. Doch welches Team könnte den sechsten YB-Triumph in den letzten sieben Jahren überhaupt verhindern?
St. Gallens Schwäche in der Fremde
Den 2. Platz belegt beim Neustart der FC St. Gallen. Die Ostschweizer spielten eine beachtliche erste Saisonhälfte. Sie sind das heimstärkste Team der Liga, haben nicht nur alle neun Partien in der eigenen Arena gewonnen, sondern dabei auch einen saisonübergreifenden Klubrekord aufgestellt, der aktuell bei elf Heimsiegen de suite steht. Dass sich der FCSG in Tuchfühlung mit Leader YB befindet, ist auch unter dem Gesichtspunkt beachtlich, dass die St. Galler ihre starken Heimauftritte nur äusserst selten in der Fremde replizieren können: Gerade ein Auswärtsspiel gewann die Equipe von Peter Zeidler in der Hinrunde (5:2 bei Lausanne-Ouchy). Will St. Gallen wirklich ein Herausforderer für YB sein, muss es auswärts mehr Punkte holen. Zudem wird interessant sein, wie Roger Stilz, der Nachfolger des überraschend entlassenen Sportchefs Alain Sutter, die Mannschaft für die Zukunft aufstellt.
Henriksen wartet, Malenovic baut um
Der FC Zürich galt lange als erster Verfolger der Young Boys und war nach dem Saisonstart mit zwölf Spielen ohne Niederlage auch phasenweise Leader. Zum Jahresende mussten die Zürcher an der Tabellenspitze aber etwas abreissen lassen und verloren die letzten zwei Partien. Auch beim FCZ geben Personalien zu reden. Über einen Abgang von Trainer Bo Henriksen wird seit Monaten spekuliert - so sehr, dass sich die Kommunikationsabteilung kürzlich veranlasst sah, zu vermelden, dass Gespräche zwischen den Parteien am Laufen seien und der Verein bis es News gäbe keine Auskunft mehr in dieser Causa erteilen werde.
Sportchef Milos Malenovic ist seit knapp drei Monaten im Amt, hat aber schon diverse personelle Veränderungen vorangetrieben, nicht zwingend in der Mannschaft, sondern vor allem auch in den Strukturen des Vereins, wo diverse Nachwuchstrainer ersetzt wurden und auch der unbeliebte Geschäftsführer Nick Gast gehen musste. Insgesamt zwölf Rochaden hat der 39-Jährige bisher vorgenommen. Malenovic gilt als enger Vertrauter der Besitzerfamilie Canepa, und es wird längst spekuliert, dass der frühere Spielerberater dereinst den Verein ganz übernehmen könnte. Für die unmittelbare sportliche Zukunft wäre Klarheit auf dem Trainerposten sicher förderlich, ansonsten dürfte ein Meister-Coup wie vor zwei Jahren kaum realistisch sein. Wobei auch das punktgleiche Servette das Meisterrennen noch nicht aufgegeben haben dürfte. Die Genfer sind in der Liga seit elf Partien unbesiegt und reihten zwischen September und November sieben Siege aneinander.
Spannung um den Europacup
Neben der Entscheidung um den Meistertitel soll in dieser Saison der neue Modus zusätzlich für Spannung sorgen. Noch 15 Spieltage werden absolviert, danach wird die Tabelle in die Championship Group (Ränge 1 - 6) und die Relegation Group (7 - 12) aufgeteilt. Es ist eng, und von Lugano (5./ 26 Punkte) bis Basel (11./18) dürften sich noch alle Teams Chancen auf die obere Tabellenhälfte und damit die Europacup-Plätze ausrechnen. Das abgeschlagene Schlusslicht Lausanne-Ouchy (11 Punkte) wird sich wohl mit der Rückkehr in die Challenge League befassen müssen.