Das Engadin erhält eine Verjüngungskur
«Es ist schon eine andere Welt», sagt Milan Derouck, der CEO der Freestyle-WM, der seine Sporen als Macher im alpinen Sektor abverdient hat. «Die Freestyler sind eine ‹Big Family›, Freigeister, das Spektakel ist ihnen ebenso wichtig wie der Sieg.» Die Freestyle-Szene ticke definitiv anders.
Der 28-jährige Derouck und seine Crew lieben zwar diesen frischen Wind, packen ihre Aufgabe aber top seriös an. Im März 2025 wird das Engadin zum Zentrum des internationalen Freestyle-Sports. Die Weltbesten treten in den Disziplinen Slopestyle, Halfpipe, Big Air, Cross, Parallel-Riesenslalom, Parallel-Slalom, Aerials und Moguls gegeneinander - oder eben miteinander - um Weltmeisterschaftsehren an.
Zu den Wettkämpfen werden rund 1200 Aktive aus 35 Nationen erwartet. Gegen 70'000 Zuschauende sollen das Geschehen vor Ort am Corvatsch, am Corviglia oder im Talboden in St. Moritz verfolgen, rund 200 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer weltweit dürften die total 28 Entscheidungen in 15 Disziplinen vor dem Fernseher oder online miterleben.
«Wir sind auf Kurs», betont Derouck. 18 Millionen Franken stehen ihm zur Verfügung, um all dies zu stemmen. Zum Vergleich: die alpine Ski-WM 2017 in St. Moritz kostete 70 Millionen. «Das Budget ist knapp, aber wir schaffen das.» Fixe Kosten für den Rennbereich, die Pistenpräparation, die Helfer, die Unterkünfte oder die temporären Bauten würden einen Grossteil des Geldes verschlingen, der Rest müsse für das Marketing, den Verkauf, das Festival und das Rahmenprogramm reichen.
Serie von Test-Events
Die Organisatoren der Events am Corvatsch haben sich in den letzten Jahren als Weltcup-Destination etabliert. Mit dem Ski- und Snowboardcross von dieser Woche am Corviglia wird hingegen Neuland betreten. Auf der Strecke werden rund 60 Elemente eingebaut, die gesammelten Erfahrungen der Wettkämpfe fliessen noch ins Konzept ein. Bis Mitte April folgen weitere Test-Events. Den Abschluss bilden der Europa Cup in der Halfpipe und die Schweizer Meisterschaften Freeski und Snowboard im Slopestyle und Big Air.
Für die Flüge im Big Air dient der Auslauf der stillgelegten Schanze in St. Moritz als Wettkampfort. Ein für den Schweizer Sport spezieller Ort: 1997 flog der damals 16-jährige Simon Ammann am Weihnachtsspringen so weit, dass er gleich ein Aufgebot für die Vierschanzentournee erhielt. Wenige Tage danach wurde er in Oberstdorf beim Weltcupdebüt 15., löste so das Olympiaticket und stieg einen Monat später auf dem Weg nach Nagano erstmals in ein Flugzeug.
Längerfristige Perspektive
«Wir machen dies für das Tal», betont der ehemalige Eishockey-Spieler Derouck. Er erzählt, wie das Engadin nach der Ski-WM 2017 aktiv nach einem neuen Event gesucht und Swiss-Ski für eine Freestyle-WM ins Boot geholt habe. «Ich will die jungen Einheimischen fördern, ihnen im Tal eine Perspektive bieten, etwas gegen die Abwanderung tun.»
Auch Jan Steiner, der Wahlengadiner mit Heimatort Pontresina ist Geschäftsführer von Engadin Tourismus, betont: «Der Vor- und Nachgang ist ebenso wichtig wie die zwei Wochen der Freestyle-WM an sich. Dieser Event bietet uns die Chance, um Infrastruktur-Projekte voranzutreiben und auch um eine Verjüngungskur fürs Tal einzuleiten.»
Steiner erwähnt die baulichen Massnahmen für die Halfpipe am Corvatsch oder die geplante Freestyle-Halle, in der auf Trampolin gesprungen oder auf Luftkissen gelandet wird.
Die Freestyler sollen ein neues, jüngeres Publikum anziehen - so wie es in den Neunzigerjahren bereits die Snowboarder vorgemacht haben. 1986 wurde im Engadin unter dem Namen «Hangloose» für die damals neue Sportart schweizweit der erste Klub gegründet. «Neben Sport ist Freestyle auch ein Lebensgefühl», sagt Steiner. «Selbstbestimmt, authentisch, auch mal gegen den Strom schwimmen.»