Aus Vizekusen könnte bald Meisterkusen werden
Auch Ende Januar ist Bayer Leverkusen in dieser Saison noch in allen Wettbewerben ungeschlagen. Die Serie in der Bundesliga beläuft sich bereits auf 18 Spiele. Sieben Punkte beträgt der Vorsprung in der Tabelle auf die schwächelnde Übermacht Bayern München, die sich am Sonntag eine Heimniederlage gegen Werder Bremen leistete, die jedoch noch ein Nachtragsspiel gegen Union Berlin in der Hinterhand hat.
Nach berauschendem Spektakel-Fussball überzeugte Leverkusen zuletzt auch mit absoluter Winner-Mentalität. Zum Jahresauftakt traf Exequiel Palacios in Augsburg nach harzigen 90 Minuten in der vierten Minute der Nachspielzeit zum 1:0, am Samstag gewann die Mannschaft in Leipzig nach zweimaligem Rückstand dank des Siegtreffers in der 91. Minute. «Wir haben einmal mehr gezeigt: Diese Mannschaft lebt, diese Mannschaft hat Charakter und zeigt Moral», sagte der Wortführer Granit Xhaka nach der Partie.
Leverkusen gewinnt in dieser Saison also nicht nur mit spielerischer Souplesse, sondern auch dank immensem Siegeswillen, der absoluten Gier und dem unerschütterlichen Glauben auch an schlechteren Tagen. Mit Tugenden einer Meistermannschaft - Tugenden, die Leverkusen in seiner 100-jährigen Historie meist hatte vermissen lassen. Tugenden, die der Magier Xabi Alonso dem Team bei seiner ersten Trainerstation auf Anhieb eingeimpft hat.
Ein Trainer, der zu höherem berufen ist
Der offensichtlich zu Höherem berufene Xabi Alonso ist für den Klub ein absoluter Glücksfall. «Er gibt uns brutal viel. Jeder hier kann extrem viel von ihm profitieren», sagte Xhaka geradezu ehrfürchtig. Der 42-jährige Spanier, als Spieler unter anderem Mittelfeld-Stratege beim FC Liverpool, Real Madrid und Bayern München, übernahm den Posten im Oktober 2022 vom glücklosen Schweizer Gerardo Seoane. Alonso stabilisierte die Mannschaft auf Anhieb, seither geht es mit Leverkusen steil aufwärts in ungeahnte Höhen.
«Die Tore unserer Aussenläufer, der Treffer des für den verletzten Jeremie Frimpong ins Spiel gekommenen Nathan Tella - das ist alles kein Zufall. Wir schauen das unter der Woche alles im Detail an. Ob das ein Passspiel oder ein Positionsspiel ist, in der Box oder sonst wo, ohne Ball, mit Ball: Wir trainieren das tagtäglich», führte Xhaka aus.
In dieser Saison ist Leverkusens Entschlossenheit besonders greifbar. Dabei scheint die Mannschaft im Sommer mit den genau richtigen Ingredienzen für den Erfolg angereichert worden zu sein: Auf den Aussenbahnen wirbelt nicht mehr nur der junge Niederländer Frimpong auf der rechten Seite, sondern jetzt auch der ablösefrei verpflichtete Spanier Alejandro Grimaldo, bei dem man sich Spiel für Spiel fragt, wie so ein vorzüglicher Spieler unter dem Radar der grossen Klubs geflogen sein kann, auf der anderen Seite. Im Sturm sorgte der nun allerdings verletzte Victor Boniface, Neuzugang aus Belgien von Union Saint-Gilloise auf Anhieb für Furore.
Granit Xhaka wie einst Xabi Alonso
Im Mittelfeld zieht seit dieser Saison der Schweizer Nationalmannschafts-Captain Granit Xhaka die Fäden wie einst sein Trainer bei den Weltklubs. Wurde Xhakas Wechsel vom grossen Arsenal in London zur grauen Werkself aus Nordrhein-Westfalen anfangs verschiedentlich belächelt, wird Xhaka inzwischen für sein gutes Näschen und seine bestechenden Qualitäten als Führungsspieler und Aggressivleader von allen Seiten gerühmt. Im Sog des Aufschwungs ist Deutschlands grösstes Talent Florian Wirtz zur Weltklasse gereift und ist der Innenverteidiger Jonathan Tah nach Jahren der Stagnation plötzlich der Abwehrchef, als den man ihn eigentlich schon lange gesehen hat.
2002, als grosse Titel zum letzten Mal richtig greifbar waren, entglitt Leverkusen der Meistertitel in der Bundesliga durch ein 0:1 gegen Nürnberg am 33. Spieltag. In der Champions League verlor die Mannschaft um Captain Michael Ballack den Final gegen Real Madrid (1:2), im Cup setzte es im Endspiel ein 2:4 gegen Schalke 04 ab. Nun bleibt die Frage, ob Leverkusen die gewichtigen Absenzen in der Defensive durch die Afrika-Cup-Teilnehmer Edmond Tapsoba und Odilon Kossounou und die Ausfälle von Boniface und Palacios noch einige Woche abzufedern vermag und es der Klub dieses Mal bis zum 34. Spieltag durchziehen wird.
Granit Xhaka ist jedenfalls überzeugt: «Diese Mannschaft verfügt über alle Eigenschaften, die es für den Erfolg braucht. Sie hat nicht nur spielerische Klasse, sondern auch die richtige Moral.»