Auf die deutschen Tests müssen Taten folgen
Es ging schnell wieder in die andere Richtung. Die Siege in den Testspielen gegen Frankreich und die Niederlande im März reichten, um beim EM-Gastgeber wieder Optimismus und Euphorie auszulösen. Heute tritt Deutschland wieder mit dem Selbstverständnis eines vierfachen Weltmeisters und dreimaligen Europameisters zu seinem Heim-Turnier an. «Wir wollen das Ding gewinnen», sagt Bundestrainer Julian Nagelsmann. Emotional überwunden scheinen die Jahre mit den kläglichen Ergebnissen.
Deutschland steckt eigentlich immer noch in einem historischen Tief, wenn man das Abschneiden an den letzten grossen Turnieren als Massstab nimmt. Seit 2016 scheiterte die DFB-Mannschaft zweimal in der WM-Vorrunde und einmal im EM-Achtelfinal. Dabei gewann sie nur drei von zehn Partien. Im letzten September nach dem 1:4 gegen Japan war die Furcht vor einer blamablen Heim-EM so gross, dass erstmals in der über 120-jährigen Geschichte des Verbandes der Bundestrainer entlassen wurde. Auf Hansi Flick folgte Julian Nagelsmann.
Unter dem jungen Nagelsmann, der ein halbes Jahr zuvor bei Bayern München seinerseits entlassen worden war, ging es ab diesem Jahr wieder bergauf. Der 36-Jährige holte den eigentlich aus der Nationalmannschaft zurückgetretenen Toni Kroos zurück ins Team und fand die richtige personelle und taktische Mischung, um wieder einen ordentlichen Eindruck zu hinterlassen. Dabei halfen ihm auch die guten Leistungen im Klub von jungen Spielern wie Florian Wirtz, Jamal Musiala oder Kai Havertz.
Die Fans abholen
Der deutsche Neuaufbau steht trotz eines beeindruckenden EM-Kaders noch auf wackeligen Beinen. Bislang sind es nur Testspiele, die die Aufwärtstendenz begründen. Die Nagelprobe wartet am Freitagabend in München. «Wenn wir einen guten Start ins Turnier finden, dann bringen wir das Momentum auf unsere Seite. Dann werden die Menschen auch viel positiv emotionaler sein und uns noch weiter tragen können», unterstrich Ilkay Gündogan die Bedeutung des Spiels gegen Schottland.
An der Heim-WM 2006, als nach einer schwachen Vorbereitung das sogenannte Sommermärchen entstand, schlug Deutschland zum Auftakt Costa Rica mit 4:2. Einen ähnlichen Auftritt soll es gegen Schottland geben. Ein Selbstläufer wird das Duell mit dem Team um Captain Andrew Robertson vom FC Liverpool aber nicht. Kämpferisch stark und gut beim Kontern seien die Schotten, heisst es von deutscher Seite. «Die Kategorie, gegen die sich die Nationalmannschaft schwergetan hat in den letzten Jahren», erinnerte Kroos. Mit Spanien konnte Schottland in der letzten EM-Qualifikation ein Topteam überraschen; 2:0 wurde das Heimspiel im März 2023 gewonnen.
Auch Schottland im EM-Fieber
Für die nun aber zuletzt eher formschwachen Schotten wird der Auftritt im Eröffnungsspiel der erste an einem Turnier ausserhalb der britischen Insel seit 1998. An der letzten EM bestritten sie ihre drei Gruppenspiele in Glasgow und London. Zuvor waren sie jahrzehntelang von der grossen internationalen Bühne verschwunden. Die schottischen Fans geniessen die Fussballreise umso mehr. In den nächsten Tagen werden in Deutschland rund 200'000 Gäste aus Schottland erwartet; am Donnerstag liefen bereits 40'000 von ihnen durch die Strassen von München, wie die dortigen Behörden mitteilten.
Mehr als eine Vorrunde lang konnten die schottischen Anhänger ihre Nationalmannschaft bisher noch nie anfeuern. Immer kam das Out schon vor der K.o.-Phase. Auch in diesem Jahr sind die Bravehearts die Aussenseiter der Gruppe. In dieser Rolle könnte sich das Team von Coach Steve Clarke allerdings speziell im Eröffnungsspiel recht gut zurechtfinden. Schottland darf und Deutschland muss - das ist für die kämpferischen Gäste die bequemere Position als für die noch nicht hundertprozentig gefestigten Deutschen.
Die möglichen Aufstellungen:
Freitag, 21.00 Uhr. - München. - SR Turpin (FRA).
Deutschland: 1 Neuer; 6 Kimmich, 2 Rüdiger, 4 Tah, 18 Mittelstädt; 23 Andrich, 8 Kroos; 10 Musiala, 21 Gündogan, 17 Wirtz; 7 Havertz.
Schottland: 1 Gunn; 15 Porteous, 13 Hendry, 6 Tierney; 2 Ralston, 3 Robertson; 7 McGinn, McTominay, McGregor, 11 Christie; 10 Adams.