«Wer weniger Mittel hat, wägt automatisch mehr ab»
Oliver Kaiser, man sagt, die zweite Saison nach dem Aufstieg sei die schwierigste. Warum trifft das in Winterthur nicht zu?
«Vorab hat sich die Liga verändert. Durch die Aufstockung sind Teams hochgekommen, die sich wirtschaftlich eher auf unserem Level bewegen. Wir haben im Vergleich zu ihnen aber bereits ein Jahr Erfahrung sammeln können. Hinzu kommt, dass wir sowohl beim Kader wie im Staff einige Rochaden hatten und sich vieles wunschgemäss entwickelt hat.»
Man kann sagen, dass der Klub in der Super League angekommen ist.
«Um sich nachhaltig in der Super League zu etablieren, braucht es mehr. Wir haben gut 40 Jahre in der Challenge League gespielt. Jetzt sind wir in der zweiten Super-League-Saison, was uns extrem freut und wir uns durch ehrliche Arbeit auch verdient haben. Wir müssen aber weiterhin Schritt für Schritt nehmen. Wenn du dich nicht mehr richtig einschätzt, kreierst du automatisch falsche Erwartungen.»
Was meinen Sie damit?
«In allen Ligen der Welt kann die Schlussrangliste vor der Saison anhand der Klub-Budgets skizziert werden. Manchmal schafft es ein Team mit weniger finanziellen Mitteln in die vorderen Ränge und umgekehrt, aber zu 90 Prozent präsentiert sich die Schlusstabelle erwartungsgemäss. Zu Beginn der Saison hätte ich Lausanne-Ouchy und Yverdon ungefähr in unseren Bereich verortet. Inzwischen ist uns aber auch Yverdon in wirtschaftlicher Hinsicht entrückt. Und eine Liga tiefer steht mit Sion ein Klub für den Aufstieg bereit, dessen Finanzkraft nochmals deutlich grösser ist.»
Was bedeutet das für einen Klub wie Winterthur?
«Wir müssen sehr bedacht mit unseren Mitteln umgehen. Deshalb versuchen wir bei der Kaderzusammensetzung zu berücksichtigen, dass wir als Ganzes funktionieren. Zudem wollen wir Rahmenbedingungen schaffen, dass sich alle wohlfühlen und möglichst konstant ihr Leistungsmaximum abrufen. Das Motiv ‹Team schlägt individuelle Qualität› passt sehr gut zum FC Winterthur.»
Und wie agiert man als Sportchef, dem begrenzte Mittel zur Verfügung stehen?
«Wohl so, wie an allen anderen Orten auch. Wir sollten in der Planung möglichst wenige Fehler machen. Denn ein Fehlgriff kann nicht einfach mit dem nächsten Transfer korrigiert werden. Ich denke aber auch, dass du automatisch mehr abwägst, wenn du wenig Mittel zur Verfügung hast.»
Wie wissen Sie, ob sich ein Spieler gut ins Team integrieren wird?
«Wissen tut man es nie, aber es gibt Referenzwerte. Du hast bei jedem Transfer kalkulierbare und unkalkulierbare Risiken. Wir versuchen das Unkalkulierbare zu minimieren.»
Können Sie das ausführen?
«Wir waren bisher vor allem auf dem Schweizer Markt aktiv. Denn diese Spieler wissen, wie der Fussball hier funktioniert, kennen die Mentalität der Liga und können dadurch viel schneller integriert werden. Ausserdem kannst du Spieler, die du oft live gesehen hast, insgesamt besser einschätzen. Das ist anders, wenn du Spieler aus dem Weltmarkt holst. Zu viele verschiedene Sprachen erschweren es beispielsweise, schnell eine Einheit zu bilden.»
Der kürzlich verpflichtete Antoine Baroan ist ein französischer Stürmer, der aus der bulgarischen Liga kommt. Ein untypischer Transfer?
«Nicht unbedingt. Auch wir verstärken uns punktuell aus dem Ausland. Souleymane Diaby kam beispielsweise auch von der Elfenbeinküste hierher. Und ich schliesse weitere Auslandtransfers nicht aus. Für uns gilt einfach, jeden Transfer genau abzuwägen. Wen haben wir auf dieser Position? Ist eine Ergänzung sinnvoll? Welche Qualitäten fehlen uns noch?»
Ihre Strategie trägt nicht nur auf dem Feld Früchte. Der Abgang von Samuel Ballet zu Como (kolportierte Ablösesumme von 1,5 Millionen Franken) war Winterthurs Rekordtransfer.
«Es ist eine schöne Geschichte für uns und eine Bestätigung für die Arbeit im Verein. Sam war mal leihweise bei uns, dann konnten wir ihn übernehmen, und er hat sich hier toll entwickelt. So erhofft man es sich bei jedem Spieler.»
Zurück zu dieser Saison, in der Winterthur nach 23 Runden schon zehn Tore mehr geschossen hat als in der gesamten letzten Saison. Wie erklären Sie die unterschiedlichen Spielweisen?
«In der ersten Saison mussten wir uns als Neuling gegen die etablierten Klubs wehren. Bruno Berner hat dies mit seiner defensiven Ausrichtung hervorragend gemacht. Natürlich wollten wir uns in dieser Saison spielerisch entwickeln, auch mehr mit dem Ball agieren. Das entspricht Patrick Rahmens Charakter. Er ist ein mutiger Trainer, der vor nichts zurückschreckt, und die Spieler sprechen sehr auf diese Spielausrichtung an.»
Was war für Sie die Überraschung der bisherigen Saison?
«Dass Alexandre Jankewitz nach seiner letzten Saison bei Thun in der Challenge League so einschlagen würde, hätten wahrscheinlich wenige gedacht. Auch ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich gewusst habe, wie schnell er sich entwickeln würde. Wir haben aber gewusst, was er für Qualitäten mitbringt, und wollten ihm ein Umfeld bieten, in dem er sich wieder entfalten kann. Aber das ist nur ein Beispiel von vielen schönen Entwicklungen in unserer Mannschaft.»
Das Team belegt Platz 7 mit nur zwei Punkte Rückstand auf die beiden davor liegenden Mannschaften. Nehmen Sie nun die erste Tabellenhälfte ins Visier?
«Überhaupt nicht, unser Blick geht weiterhin nach hinten. Wir sind froh, dass wir uns ein gewisses Polster auf die Schlussränge herausspielen konnten. Aber die Meisterschaft dauert noch eine Weile. Wir wollen uns von den letzten zwei Plätzen fernhalten. Mit diesem Denken müssen wir in die nächsten Runden gehen.»
Das ist aber etwas tiefgestapelt.
«Es ist wichtig, dass der Fokus stimmt. Sobald du das Gefühl hast, es laufe von alleine, fehlen schnell ein paar Prozent. Überdies verfügen alle Teams im hinter Drittel der Tabelle über die Qualität, regelmässig zu punkten.»