Küng und Bissegger liebäugeln im WM-Zeitfahren mit einer Medaille
Ihre Anreise war kurz, als die beiden Stefans aus dem Thurgau am Freitagnachmittag im Teamhotel in Kloten zum Check-in erschienen. Die WM-Strecke kennen beide aus dem Effeff, haben sie doch schon etliche Trainingskilometer in der Region um Zürich abgespult.
Nur gut 5 km vom Schweizer WM-Quartier entfernt werden sie am Sonntag auf der Offenen Rennbahn in Oerlikon ihre rasante Fahrt «durchs Wohnzimmer» in Angriff nehmen. Für Küng ist die Sportstätte «ein ikonischer Ort».
Er wie auch Bissegger haben in früheren Jahren auf dem Beton-Oval zahlreiche Trainings und Rennen bestritten und damit den Grundstein für ihre Karrieren gelegt. Heute zählen sie zu den Weltbesten im Zeitfahren. Das wollen sie am Sonntag mit einem Glanzergebnis beweisen.
Für Küng wird es die zehnte WM als Profi. Dass er dabei erstmals vor Heimpublikum antreten kann, sieht er als «einmalige Gelegenheit». Zusätzlichen Druck verspürt er deswegen keinen. «Die Vorfreude überwiegt», sagt er mit einem breiten Lachen im Gesicht. Und wie sieht er seine Chancen? «Ich weiss, wie schwierig es ist, an einer WM eine Medaille zu holen.» 2020 in Imola wurde er Dritter, vor zwei Jahren in Wollongong Zweiter. Nach dem 12. Rang im Vorjahr in Glasgow wäre im Zweijahres-Rhythmus jetzt wieder Zeit fürs Treppchen. Küng: «An einer Heim-WM auf dem Podest zu stehen, wäre sicher ein schönes Gefühl.»
Der Spass ist zurück
Die WM-Hauptprobe lief für Küng letzte Woche mit Silber im EM-Zeitfahren nicht ganz nach Plan; für ihn aber noch lange kein Grund, um in Panik zu verfallen.
Nach einem durchzogenen Sommer mit gesundheitlichen Problemen konnte der zweifache Europameister zuletzt viel Selbstvertrauen tanken. Sein Sieg vor knapp zwei Wochen im Schlusszeitfahren der Vuelta - sein erster überhaupt in einer Grand Tour - hat ihm gezeigt, dass das Material passt und die Form stimmt. «Ich fühle mich wieder gut, bin wieder auf meinem Niveau. So Rennen zu fahren, macht Spass.»
Im Rückblick war es ein kluger Entscheid, seine Saisonplanung zu überdenken. An den Olympischen Spielen in Paris hat Küng - gehandicapt von Magenproblemen und den Folgen einer Covid-Erkrankung - mit dem 8. Rang im Zeitfahren und Platz 7 im Strassenrennen unter seinen Erwartungen abgeschnitten.
Viele an seiner Stelle hätten zu diesem Zeitpunkt mit Blick auf die Heim-WM das Tempo gedrosselt, doch der Profi vom Team Groupama-FDJ entschied sich, entgegen seiner ursprünglichen Absichten, für eine Vuelta-Teilnahme, da er der Meinung war, dass die Rundfahrt in Spanien die beste Möglichkeit sei, seine Saison neu zu starten.
Andere Voraussetzungen
Der Plan ging auf. Die Frage ist, ob ihn die drei Wochen mit den vielen harten Bergetappen nicht zu viel Kraft gekostet haben? Küng verneint: «Physisch bin ich dort, wo ich sein möchte.»
Doch die Voraussetzungen sind anders, als noch bei seinem Sieg im Vuelta-Zeitfahren in Madrid. Dort war die Strecke fast komplett flach. In Zürich hat sie einen anderen Charakter, ist mit 46 km länger und enthält im mittleren Abschnitt eine Steigung und eine Gegensteigung, was leichteren Fahrern, aber weder Küng noch Bissegger entgegenkommt. «Wer übermütig beginnt, zahlt dafür hinten raus den Preis», warnt Küng davor, das Rennen zu schnell angehen zu lassen.
Bissegger spürt die lange Saison
Für Bissegger ist klar, dass er in der Fläche Zeit auf die Konkurrenz gutmachen muss, wenn er in den Kampf um die Medaillen eingreifen will. Anders als sein Namensvetter Küng versprüht er nicht die gleiche Vorfreude auf den Heim-Event. «Ich bin mental etwas müde nach der langen und intensiven Saison mit vielen Höhepunkten.»
Für den Olympia-Fünften von Paris verlief die Vorbereitung nicht optimal. Nachwehen seiner Handverletzung, die von einem Sturz an der Deutschland-Rundfahrt herrühren, hat er zwar keine mehr. Doch nach wie vor plagt ihn ein «Schnupfen». An der EM (12. Rang) war er deshalb chancenlos gewesen. «Hoffentlich geht es am Sonntag besser», gibt er sich zuversichtlich.
Als erster Anwärter auf den WM-Titel steigt der Titelverteidiger ins Rennen. «Remco Evenepoel ist der grosse Favorit, wenn er so fährt wie sonst», sagt Küng über den Doppel-Olympiasieger von Paris. Dahinter ist das Feld der Podestanwärter gross. «Einen Ganna, Tarling, Roglic oder McNulty muss man sicher auf der Rechnung haben», zählt Küng auf. Alle fehlten sie an der EM - und wollen nun wie die beiden Schweizer Asse an der WM zuschlagen.