Christoph Marthalers böse Groteske der Ausweglosigkeit
Es beginnt auf der Bühne des Basler Schauspielhauses wie so oft beim international gefeierten Theatermacher Marthaler mit inhaltlich schwer durchschaubaren Szenerien einer Gesellschaft zutiefst verlorener Menschenseelen. Ist es die familiäre Geburtstagsfeier des 17-jährigen Nesthäkchens oder eine Jubiläum von zwei verstorbenen Ehepartnern? Ist es die Zusammenkunft einer KMU-Generalversammlung oder der Parteitag einer politischen Provinzpartei?
Klar ist, dass es sich um eine Treffen von desorientierten Menschen handelt, denen der Bezug mit dem Weltgeschehen ausserhalb des engen Beziehungskreises abhandengekommen ist. Sie äussern sich mit abstrusen Floskeln, die gängige Redewendungen zusammenhangslos aneinanderreihen, während aus zahlreichen aufgereihten Begräbnisurnen wirre Parolen oder verballhornte Melodien aus dem Fundus des klassischen Wunschkonzerts ertönen.
Marthaler treibt ein böses Spiel
Desorientierte Seelen in grotesk-absurden Situationen, garniert mit überraschenden Intermezzi, gehören zum Grundinventar von Marthaler und seiner famos eingespielten Bühnenfamilie. Doch beim aktuellen Projekt mit dem seltsamen Titel «Doktor Watzenreuthers Vermächtnis - Ein Wunschdenkfehler», treibt Marthaler ein böses Spiel, wie man es sich von ihm nicht gewohnt ist.
Nicht mal mehr die wunderschön vorgetragenen vielstimmigen Gesänge des Ensembles, die sich von Puccini, über Wagner bis Harold Melvin ziehen, haben mehr etwas Tröstliches. Marthaler und seine Bühnencrew führen in die Abgründe, in die Menschen in ihrer Ausweglosigkeit fallen: in die Fänge von AfD, die Polemik von SVP-Populisten, dem US-Präsidentschaftskandidaten, dem Rassemblement National, der italienischen Neofaschisten.
Lediglich die aufmüpfig herauslachende und immer wieder gemassregelte junge Frau (Nadja Reich) bleibt aussen vor. Sie spielt auf wunderbare Weise auf ihrem Cello gegen den Niedergang an und lässt am Schluss den vornehm-beklemmenden Salon (eine überaus lebendige Bühne: Duri Bischof) zur Ruine zerfallen.
Regisseur warnt vor «einer Zumutung»
Marthaler warnte vor der Vorstellung im Gespräch mit dem Berichterstatter der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vor «einer Zumutung, die man durchaus auch schlecht finden kann». Vor einem «unmöglichen Theatersetting einer an einem Tisch aufgereihten Gesellschaft», die man nicht wirklich verorten könne.
Mag sein, dass es etwas Koketterie war. Schlecht war er nun ganz und gar nicht. Der Abend bestach durch eine durch die hintersinnig unterhaltsame Wolke durchscheinende politisch-gesellschaftliche Brisanz. Das Basler Premierenpublikum feierte den Abend, Marthaler und sein Ensemble nach zwei Stunden mit einem frenetischen Applaus.