USA machen Druck für Beendigung des Gaza-Kriegs
«Wir müssen eine Waffenruhe bekommen und wir müssen diese Geiseln rausbekommen», sagte US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Die Gespräche der Unterhändler liefen und die US-Regierung arbeite weiter «sehr hart» daran, einen erfolgreichen Abschluss zu erzielen.
US-Aussenminister Antony Blinken wollte sich unterdessen bei seinen heutigen Gesprächen mit der politischen Führung in Israel für den Abschluss eines Abkommens einsetzen. Es geht ihm darum, «die intensiven diplomatischen Bemühungen» vor Ort weiterzuführen, wie ein Sprecher seines Ministeriums vorab erklärte. Blinken wollte sich in Tel Aviv und Jerusalem unter anderem mit Präsident Izchak Herzog, Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant treffen.
Besondere Bedeutung dürfte dem Gespräch mit Netanjahu zukommen. Kritiker sehen in ihm das grösste Hindernis für eine Einigung auf eine Waffenruhe, weil er bei Zugeständnissen an die Hamas das Scheitern seiner Regierungskoalition fürchten müsste. Doch auch die Hamas lehnt den aktuellen Verhandlungsstand ab.
Mit dem Abkommen für eine Waffenruhe soll auch die Freilassung israelischer Geiseln in der Gewalt der Hamas und die Entlassung palästinensischer Häftlinge in israelischen Gefängnissen vereinbart werden. US-Präsident Joe Biden hatte im Mai einen Vorschlag für ein mehrstufiges Abkommen vorgelegt, mit dem der Krieg beendet und letztlich der Gazastreifen wieder aufgebaut werden soll.
Diese Woche neue Gespräche in Kairo
Blinken bleibt bis Dienstag in der Region und wird von Israel nach Ägypten weiterreisen, teilte das Aussenministerium mit. In Kairo laufen die indirekten Gespräche zwischen Israel und der Hamas auf verschiedenen Ebenen weiter. In der zweiten Wochenhälfte sollen sie in eine möglicherweise entscheidende Phase mit Gesprächen auf Ebene der Chef-Unterhändler münden. Bei den Verhandlungen vermitteln die USA, Ägypten und Katar. Blinkens Anwesenheit in Kairo verleiht dem Engagement Washingtons zusätzliches Gewicht.
Eine Einigung über Schritte zur Beendigung des Gaza-Kriegs, mit der auch ein möglicher Flächenbrand im Nahen Osten vermieden werden soll, scheint allerdings noch nicht in Reichweite. Nach der jüngsten Verhandlungsrunde am Donnerstag und Freitag in der katarischen Hauptstadt Doha sprachen einige Unterhändler von Anlass zu «vorsichtigem Optimismus». Doch wichtige Differenzen sind noch nicht überbrückt.
Die Hamas lehnt die Vorschläge rundheraus ab. «Nachdem wir von den Vermittlern gehört haben, was bei der letzten Gesprächsrunde in Doha erörtert wurde, sind wir ein weiteres Mal davon überzeugt, dass Netanjahu einer Einigung weiterhin Hindernisse in den Weg legt», heisst es in der ersten Erklärung der islamistischen Organisation seit der Gesprächsrunde.
Die Hamas nahm daran nicht teil. Sie liess sich von den Vermittlern über die Ergebnisse informieren. Hamas-Chef Jihia al-Sinwar versteckt sich im Tunnelnetz unter dem Gazastreifen und kann nur unter erschwerten Bedingungen mit der Aussenwelt kommunizieren.
Streit um dauerhafte Truppenpräsenz im Gazastreifen
Die Hamas erklärte weiter, Netanjahu würde «neue Bedingungen und Forderungen stellen, um die Bemühungen der Vermittler zu torpedieren und den Krieg zu verlängern». Die neuen Vorschläge, so die Hamas, lägen mit diesen Bedingungen Netanjahus auf einer Linie und wichen von dem bereits im Mai von Biden vorgelegten Verhandlungsrahmen ab.
Unter anderem werde die Hamas keine dauerhafte Truppenpräsenz Israels an strategischen Stellen des Gazastreifens akzeptieren, wie sie Netanjahu beharrlich fordert. Dabei geht es auch um den sogenannten Philadelphi-Korridor, einen schmalen Gebietsstreifen im Süden Gazas entlang der Grenze zu Ägypten. Israel vermutet, dass sich die Hamas über diese Grenze mit Waffen versorgt hat.
Netanjahu will darüber hinaus israelische Truppen dauerhaft im Nezarim-Korridor belassen, der den Gazastreifen in einen nördlichen und einen südlichen Abschnitt teilt. Die Armeepräsenz an dieser Stelle soll verhindern, dass die Hamas Kämpfer aus dem Süden in den Norden des abgeriegelten Küstengebiets verlegt.
Stürmische Debatte im engsten Kreis
Das Festhalten Netanjahus an seinen Forderungen soll selbst im engsten Mitarbeiterkreis umstritten sein. Laut israelischen Medienberichten verlief eine Sitzung mit seinen Verhandlern am Sonntagmorgen äusserst stürmisch. Die Unterhändler warnten demnach eindringlich davor, dass ein Beharren auf den beiden Korridoren die angestrebte Vereinbarung zum Scheitern bringen würde. Die Militärführung hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass sich Israels Sicherheitsinteressen an der Gaza-Ägypten-Grenze auch durch technische Mittel gewährleisten liessen.
Verteidigungsminister Galant soll Netanjahu dazu aufgefordert haben, die Verhandlungsstrategie für die Waffenruhe-Gespräche der gesamten Regierung und nicht bloss dem engsten Kreis vorzulegen, berichtete der Fernsehsender Channel 12. «Israel ist an einem strategischen Scheideweg», wurde Galant zitiert. «Das Risiko einer militärischen Eskalation steigt, die letzten Endes zu einem unaufhaltbaren Krieg unter Beteiligung des Irans und der Hisbollah (im Libanon) führen wird», soll er demnach gesagt haben.
Verärgerung über «serienmässige Durchstecher»
Netanjahu liess am Sonntagabend über sein Büro mitteilen - mit verärgertem Unterton wegen möglicher Indiskretionen aus seinem Umfeld: «Es gibt Leute, die Sachen serienmässig durchstechen und damit der Fähigkeit, einen Deal zu erzielen, schaden.» Diese Leute wollten stets der Hamas nachgeben, weil diese sonst einer Einigung nicht zustimmen würde. Damit würden sie aber stets falschliegen. «Auch heute beharrte der Ministerpräsident darauf, dass wir im Phialdelphi-Korridor bleiben, um zu verhindern, dass sich terroristische Elemente wieder bewaffnen», so Netanjahus Büro.
Auslöser des Gaza-Kriegs war der Terrorangriff der Hamas und anderer Extremisten aus dem Gazastreifen auf den Süden Israels am 7. Oktober. Dabei wurden rund 1.200 Menschen getötet und 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt. In dem abgeriegelten Küstengebiet sind wegen des Kriegs laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde seither rund 40.000 Menschen getötet worden. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern und lässt sich nicht unabhängig überprüfen.