Tod in den Trümmern Gazas: Wie der Hamas-Chef gejagt wurde
So wurde der Drahtzieher des in Israel verübten Massakers vom 7. Oktober vergangenen Jahres nach Angaben des für die Obduktion verantwortlichen Forensikers durch einen Kopfschuss getötet. «Die Todesursache ist eine Schussverletzung am Kopf», sagte der leitende Pathologe am Nationalen Zentrum für Forensik in Tel Aviv, Chen Kugel, dem US-Fernsehsender CNN.
Kurz vor dem tödlichen Schuss auf wohl meistgesuchten Terroristen im Nahen Osten hatten israelische Soldaten am Mittwoch in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens drei Männer beobachtetet, die sich von Gebäude zu Gebäude bewegten, wie die Zeitung «The New York Times» unter Berufung auf Sicherheitskreise in Israel und den USA berichtete. Nach einem Feuergefecht, bei dem ein israelischer Soldat schwer verwundet wurde, floh demnach einer der Männer in ein angrenzendes Haus.
Scharfschütze soll Sinwar getötet haben
Das israelische Militär habe daraufhin eine Drohne in das Gebäude gesteuert und auf einem Sofa einen vermummten und mit Staub bedeckten Mann entdeckt, der einen Stock auf das ferngelenkte Fluggerät warf. Wie sich erst später herausgestellt habe, handelte es sich um Sinwar. Ein Scharfschütze habe ihm dann in den Kopf geschossen und ein israelischer Panzer auf das Gebäude gefeuert, berichtete die «New York Times».
Aus Angst vor Sprengfallen seien die Truppen erst nach Sonnenaufgang am folgenden Tag in das Haus vorgerückt. Dort fanden sie schliesslich eine Leiche, die Sinwar stark ähnelte. «Er hatte mehrere Verletzungen: eine Wunde von einer Rakete am rechten Unterarm, Verletzungen von heruntergefallenem Mauerwerk an seinem linken Bein und viele Schrapnells in der Brust. Sie haben schwere Verletzungen verursacht, aber die Todesursache ist die Schusswunde am Kopf», sagte Forensiker Kugel.
Identität per DNA-Test bestätigt
Dem Toten sei ein Finger abgeschnitten worden, um per DNA-Test die Identität festzustellen, erklärte der Pathologe. «Nachdem das Labor ein Gen-Profil erstellt hatte, verglichen wir es mit dem Profil, das wir noch von Sinwar aus seiner Zeit als Gefangener hatten. So konnten wir ihn schliesslich anhand seiner DNA identifizieren.»
Der wegen seiner Brutalität im Umgang mit politischen Gegnern als «Schlächter von Chan Junis» bekannte Islamist war einst wegen des Mordes an vier mutmasslichen Kollaborateuren und zwei israelischen Soldaten zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt worden und sass über 20 Jahre in israelischer Haft. 2011 kam er als einer von mehr als 1.000 palästinensischen Häftlingen im Austausch für den in Gaza festgehaltenen israelischen Soldaten Gilad Schalit frei.
Sinwars Leiche als «Verhandlungsmasse» für Geisel-Deal
Sinwars Leiche befindet sich Medienberichten zufolge an einem geheimen Ort in Israel. Seine sterblichen Überreste könnten als «Verhandlungsmasse» in Gesprächen über die Freigabe von Geiseln aus der Gewalt der Hamas dienen, berichtete CNN unter Berufung auf israelische Diplomatenkreise. «Wenn die Hamas seine Leiche gegen Israelis tauschen will, tot oder lebendig, dann soll es so sein», wurde eine mit der Angelegenheit vertraute Person zitiert. Ohne einen solchen Deal soll die Leiche demnach nicht nach Gaza überstellt werden. In Israel gibt es die Sorge, dass Sinwars Grab zu einer Pilgerstätte für seine Anhänger in dem von Israel abgeriegelten und im Krieg zerstörten Küstengebiet werden könnte.
Auch Sinwars Leibwächter getötet
Kurz nach Sinwar töteten israelische Soldaten nach Militärangaben auch den Leibwächter des Hamas-Chefs, Mahmud Hamdan. Der Kommandeur des Hamas-Bataillons in Rafahs Stadtteil Tal al-Sultan sei nur 200 Meter entfernt von der Stelle gestorben, an der Sinwar sein Leben verlor. Hamdan war auch zuständig für die Bewachung jener sechs israelischen Geiseln gewesen, die im August von seinen Leuten ermordet worden waren.
Die Jagd auf den Hamas-Chef
Direkt nach dem blutigen Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem islamistische Terroristen mehr als 1.200 Menschen töteten und weitere 250 in den Gazastreifen verschleppten, eröffneten Israels Streitkräfte und Geheimdienste die Jagd auf den Chefplaner Sinwar. Doch der machte es ihnen nicht leicht. Lange Zeit hielt er sich nach Einschätzung von Sicherheitsexperten in dem weit verzweigten Tunnelsystem unter dem Gazastreifen auf, umgeben von Geiseln. Demnach verzichtete er auf Handys und Computer und kommunizierte ausschliesslich über Boten mit seinen Kämpfern, um seinen Aufenthaltsort nicht zu verraten.
Nachdem die israelischen Streitkräfte Ende August die Leichen der sechs getöteten Geiseln in einem Tunnel geborgen hatten, konnten sie in dem unterirdischen Komplex mittels DNA-Test Urin von Sinwar nachweisen, wie es in dem Bericht der «New York Times» heisst. Danach zog sich die Schlinge immer enger zu. Die Geheimdienste beobachteten in dem Viertel Tal al-Sultan immer wieder Vermummte, die anscheinend von Leibwächtern begleitet wurden - ein Hinweis darauf, dass es sich wohl um prominente Köpfe der Hamas handelte.
Am Ende kam aber auch ein wenig Glück hinzu. Die Militärpatrouille, die Sinwar schliesslich stellte, war laut Informationen der «New York Times» eigentlich nur in der Gegend, um weitere Hinweise zu sammeln. Dann gelang ihr einer der wichtigsten Schläge gegen die Hamas seit Beginn des Gaza-Kriegs.