Präsidentschaftswahl in Tunesien: Sieg Saieds scheint sicher
Mehr als neun Millionen Tunesier waren in dem Mittelmeerland zur Abgabe ihrer Stimme aufgerufen. Vorläufige Ergebnisse werden bis Mittwoch erwartet.
Eigentlich galt das kleine Land als das einzige, das nach den Massenprotesten in der arabischen Welt von 2011 einen Übergang zur Demokratie machte. Beobachter stuften die zwei Präsidentschaftswahlen seitdem als demokratisch ein.
Seit 2021 hat Saied, der die Wahl 2019 gewann, aber einen Machtausbau vorangetrieben, den Kritiker als systematische Aushöhlung von Rechtsstaatlichkeit beschreiben. Saied erklärt dagegen, sich mit seinen Schritten im Rahmen geltenden Rechts zu bewegen.
Echte Konkurrenten ausgeschlossen, Rolle des Militärs gestärkt
Der 66 Jahre alte Verfassungsrechtler Saied tritt diesmal gegen nur zwei Kandidaten an, einer davon sitzt in Haft. Ernsthafte Konkurrenten wurden im Vorlauf zur Wahl ausgeschlossen. Politiker der Opposition wurden ebenso verhaftet wie Aktivisten, Journalisten und Anwälte. Die Rolle des Militärs innerhalb der Regierungsgewalt wurde gestärkt, teils wird ein schrittweiser Wandel zur Militärherrschaft befürchtet.
«Wir müssen ein neues Kapitel aufschlagen und dürfen nicht die Fehler wiederholen, die mit Präsident Kais Saied passiert sind», sagte ein Wähler der Deutschen Presse-Agentur in Tunis. Ein Verkäufer der in dieser Jahreszeit beliebten Kaktusfeigen sagte, er werde die Wahl boykottieren. «Die Versprechen der Kandidaten und Politiker sind einfach Unsinn. Sie taten und tun nichts für die Arbeitslosen. Warum sollte ich dann motiviert sein, wählen zu gehen?»
Einige sehen Rückkehr zu Zeiten vor 2011
Mit 16 Prozent hat Tunesien eine der höchsten Arbeitslosenraten in der Region, bei jungen Menschen liegt sie sogar bei 37 Prozent. Die schlechte Wirtschaftslage sowie Vorwürfe von Korruption in der Regierung haben viele das Vertrauen in die Politik verlieren lassen. Einige sprechen auch von einer Rückkehr zu Zeiten von Langzeitherrscher Zine al-Abidine Ben Ali, den die Massenproteste von 2011 zu Fall brachten. Saids Unterstützer sehen den demokratischen Wandel und die schwache Leistung staatlicher Institutionen seit 2011 dagegen kritisch.
Die laufende Aushöhlung von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen im Land seien «alarmierend und beängstigend», sagte Bassem Trifi, Präsident der tunesischen Menschenrechtsorganisation LTDH. Die neue Welle der Unterdrückung habe mit zahlreichen Festnahmen im Februar begonnen. Beobachter zählten seitdem Dutzende Verstösse gegen demokratische Grundsätze, etwa durch «gerichtliche Schikane».
Rhetorik gegenüber Migranten verschärft - Kritik an EU-Abkommen
Unter Saied hat sich die Rhetorik gegenüber Migranten aus Ländern südlich der Sahara zugleich deutlich verschärft. Die EU hat Tunesien im Rahmen eines Migrationsabkommens mehr als 100 Millionen Euro für einen verstärkten Grenzschutz zugesagt, um Migration in Richtung Europa einzudämmen. Tunesiens Regierung hat Migranten Berichten zufolge teils systematisch in der offenen Wüste ausgesetzt. Die EU sieht sich bei dem Abkommen dem Vorwurf ausgesetzt, einen aufstrebenden Autokraten zu stärken.
Mehr als 60 Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen forderten, dass tunesische Behörden keine finanzielle Unterstützung erhalten dürften, die beim Grenzschutz schwere Verstösse begingen. Die Behörden würden auf See gewaltsam gegen Migranten vorgehen, Tränengas aus nächster Nähe abfeuern und das Leben von Migranten mit Kollisionen und schnellen Manövern gefährden. In Gewahrsam wurden Migranten den Organisationen zufolge, darunter Human Rights Watch, auch gefoltert und auf andere Weise misshandelt.