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Israels Armee beginnt grösseren Einsatz im Westjordanland

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Israels Armee beginnt grösseren Einsatz im Westjordanland

28. August 2024, 05:03 Uhr
ARCHIV - Ein bewaffneter israelischer Soldat hält auf seinem Posten Wache. Foto: Ilia Yefimovich/dpa
© Keystone/dpa/Ilia Yefimovich
Israels Armee hat in der Nacht eine grössere Operation im besetzten Westjordanland begonnen. Nach Angaben des Militärs laufen Anti-Terror-Einsätze in den nördlichen Städten Dschenin und Tulkarem, die als Hochburgen militanter Palästinenser gelten.

Medienberichten zufolge setzte die Armee neben zahlreichen Infanteristen auch Drohnen und Scharfschützen ein, zerstörte Infrastruktur mit Bulldozern und sperrte sämtliche Zufahrtswege nach Dschenin.

In Dschenin seien zwei Menschen durch Schüsse getötet und mehrere weitere verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium in Ramallah mit. Später meldete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa zwei weitere Tote bei einem Drohnenangriff des israelischen Militärs auf ein Flüchtlingslager nahe der Ortschaft Tubas. Ob es sich bei den Toten um militante Palästinenser handelt, blieb unklar. Die Armee machte zunächst keine detaillierten Angaben zu ihrem Einsatz.

Den Berichten zufolge handelt es sich um eine grossangelegte Militäroperation, «Al-Dschasira» sprach gar vom grössten derartigen Einsatz der israelischen Armee im Norden des Westjordanlands seit mehr als 20 Jahren. Dem arabischen Sender zufolge sollen Palästinenser die Soldaten unter anderem im Flüchtlingsviertel Nur Schams in Tulkarem mit Schusswaffen und Sprengsätzen attackiert haben. Zusammenstösse gab es demnach auch in anderen Ortschaften im Westjordanland.

Armee soll Krankenhäuser umstellt haben

Die Agentur Wafa meldete, eine grosse Anzahl an Militärfahrzeugen sei nach Dschenin reingefahren. «Al-Dschasira» zufolge wurde die Stadt komplett abgeriegelt. Laut der israelischen Nachrichtenseite «ynet» sollten von den Sicherheitskräften gesuchte Personen in Flüchtlingsvierteln in Dschenin und Tulkarem festgenommen werden. Israelischen und palästinensischen Medien zufolge umstellten die Einsatzkräfte auch Krankenhäuser in beiden Städten und blockierten Krankenwagen. Die Armee kontrolliere den Zutritt zu den Klinikgebäuden, um zu verhindern, dass sich Militante dort verschanzen, meldete «ynet».

Die ohnehin gespannte Lage im Westjordanland hat sich seit dem Hamas-Massaker mit 1.200 Toten am 7. Oktober 2023 und dem dadurch ausgelösten Beginn des Gaza-Kriegs deutlich verschärft. Seitdem wurden dort nach unabhängig kaum überprüfbaren Angaben des Gesundheitsministeriums in Ramallah bei israelischen Militäreinsätzen, bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschlägen von Extremisten mehr als 620 Palästinenser getötet. Auch Gewalt israelischer Siedler gegen Palästinenser nahm in dem Zeitraum zu.

Vor allem in Dschenin und Tulkarem gibt es immer wieder Razzien der israelischen Armee. Erst am Montag kamen nach Angaben des Gesundheitsministeriums bei einem israelischen Luftangriff in dem Flüchtlingsviertel Nur Schams in Tulkarem fünf Menschen ums Leben. Das Bombardement hatte nach Angaben der israelischen Armee militante Palästinenser zum Ziel.

Berichte über israelischen Drohnenangriff im Libanon

Während es im Westjordanland immer wieder Zusammenstösse zwischen Israels Armee und militanten Palästinensern gibt, kommt es im Grenzgebiet zum Libanon nahezu täglich zu Konfrontationen mit der Hisbollah-Miliz und anderen Gruppierungen - mit Toten auf beiden Seiten. Nun berichteten libanesische Sicherheitsquellen und der Hisbollah-nahe Fernsehsender Al-Manar von einem mutmasslich israelischen Drohnenangriff auf einen Lastwagen im Nordosten des Libanon, rund 100 Kilometer von der Grenze entfernt.

Augenzeugen zufolge kam es nach dem Angriff zu Explosionen, möglicherweise habe der Lkw Waffen für die Hisbollah transportiert, hiess es. Ein Mensch wurde nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums verletzt. Die Gegend gilt als Hochburg der schiitischen Hisbollah-Miliz. Aus Israel gab es zunächst keine Reaktion auf den Vorfall.

Geisel nach offenbar tagelanger Suche aus Tunnel befreit

Für einen Hoffnungsschimmer inmitten der anhaltenden Gewalt im Nahen Osten sorgte die Befreiung einer Geisel der islamistischen Hamas durch israelische Spezialeinheiten am Dienstag. Die Soldaten fanden Kaid Farhan Alkadi in einem der vielen Tunnel der Hamas unter dem Gazastreifen. Zuvor hätten sie das unterirdische Tunnelsystem tagelang durchkämmt, berichtete das «Wall Street Journal» unter Berufung auf einen israelischen Militärvertreter. «Wir sind sehr vorsichtig und gründlich vorgegangen, weil wir wussten, dass wir auf Terroristen, Geiseln oder Sprengfallen treffen konnten», wurde der Informant zitiert.

Die Zeitung «Haaretz» berichtete unter Berufung auf das Militär, Alkadi habe die Soldaten während des Einsatzes gehört und ihnen zugerufen. Laut Armeeangaben war er unbewacht.

Es ist das erste Mal, dass israelische Einheiten eine Geisel lebend aus einem Tunnel der Hamas retten konnten. Die sieben zuvor befreiten Entführten waren von Einsatzkräften unter hohem Blutzoll aus Häusern im Gazastreifen geholt worden.

Die nun befreite Geisel, ein 52 Jahre alter Beduine, wird derzeit in einem Krankenhaus behandelt und ist israelischen Angaben zufolge bei guter Gesundheit. Israelische Politiker sowie Angehörige äusserten grosse Freude über seine Rückkehr nach 326 Tagen Geiselhaft.

«Der ganze Negev feiert!»

Die Beduinen gehören zur arabischen Minderheit in Israel, die häufig mit Diskriminierung zu kämpfen hat. Ihre Zahl wird landesweit auf rund 250.000 geschätzt. Viele von ihnen leben in der Negev-Wüste im Süden Israels. Ein Verwandter sagte «ynet» nach der Befreiungsaktion: «Der ganze Negev feiert!»

Angehörige beschrieben den Mann israelischen Medien zufolge nach ihrem Wiedersehen als abgemagert. Er soll die meiste Zeit über kaum Tageslicht gesehen und miterlebt haben, wie eine Geisel neben ihm starb.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sowie Staatspräsident Izchak Herzog telefonierten mit Alkadi, der den Politikern eine Forderung mit auf den Weg gab: «Tun Sie alles, was Sie können, um die Menschen nach Hause zu bringen. Arbeiten Sie 24 Stunden am Tag und schlafen Sie nicht, bis sie zurückkommen», soll der Befreite in dem Gespräch mit Herzog gesagt haben, wie dessen Büro mitteilte. «Die Menschen leiden sehr, das können Sie sich nicht vorstellen.»

Israelischen Angaben zufolge war Alkadi am 7. Oktober aus einem Kibbuz an der Grenze zum Gazastreifen entführt worden, wo er als Wachmann arbeitete. Israelischen Medien zufolge hat er elf Kinder.

Bemühungen um Waffenruhe gehen weiter

Insgesamt verschleppten palästinensische Terroristen am 7. Oktober vergangenen Jahres mehr als 250 Menschen aus Israel in das Küstengebiet. Nach der zwischenzeitlich erreichten Freilassung dutzender Geiseln dürfte die Hamas nach israelischer Zählung noch 108 Geiseln in ihrer Gewalt haben. Wie viele davon noch am Leben sind, ist unklar. Auf israelischer Seite wird davon ausgegangen, dass ein Drittel von ihnen vermutlich tot ist.

Unterdessen gehen die Kämpfe im Gazastreifen ebenso weiter wie die Bemühungen um eine Waffenruhe und Freilassung der verbliebenen Geiseln. Israelischen Medienberichten zufolge ist geplant, dass eine israelische Delegation zu weiteren Gesprächen über ein Abkommen mit der Hamas in die katarische Hauptstadt Doha reist. Die indirekten Verhandlungen, bei denen Katar sowie Ägypten und die USA zwischen den Konfliktparteien vermitteln, treten seit Monaten auf der Stelle.

Quelle: sda
veröffentlicht: 28. August 2024 05:03
aktualisiert: 28. August 2024 05:03